Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Pelze übereinandergehäuft, daß sie oben noch hoch über seinen Kopf hinausragten.
»Sie sind’s! Sie sind’s!« schrie das Heidi und hüpfte hoch auf vor Freude. Sie waren es wirklich. Nun kamen sie näher und näher, und nun waren sie da. Die Träger setzten ihren Sessel auf die Erde, das Heidi sprang herzu, und die beiden Kinder begrüßten sich mit ungeheurer Freude. Jetzt war auch die Großmama oben und stieg von ihrem Pferde herunter. Das Heidi rannte zu ihr hin und wurde mit großer Zärtlichkeit begrüßt. Dann wandte sich die Großmama zum Almöhi um, der sich genaht hatte, um sie zu bewillkommnen. Da war gar keine Steifheit in der Begrüßung, denn sie kannte ihn und er sie so gut, als hätten sie schon lange Zeit miteinander verkehrt.
Gleich nach den ersten Worten der Begrüßung sagte auch die Großmama mit großer Lebhaftigkeit: »Mein lieber Öhi, was haben Sie für einen Herrensitz! Wer hätte das gedacht! Mancher König könnte Sie darum beneiden! Wie sieht auch mein Heidi aus! Wie ein Monatsröschen!« fuhr sie fort, indem sie das Kind an sich zog und ihm die frischen Backen streichelte. »Was ist das für eine Herrlichkeit um und um! Was sagst du, Klärchen, mein Kind, was sagst du!«
Klara schaute in völligem Entzücken um sich. So etwas hatte sie ja in ihrem ganzen Leben nicht gekannt, nicht geahnt.
»Oh, wie schön ist’s da! Oh, wie schön ist’s da!« rief sie einmal ums andere aus. »So hab ich mir’s nicht gedacht. O Großmama, hier möcht ich bleiben!«
Der Öhi hatte derweilen den Rollstuhl herbeigerückt und einige der Tücher vom Reff heruntergenommen und hineingebettet. Jetzt trat er an den Tragsessel heran.
»Wenn wir das Töchterchen nun in den gewohnten Stuhl setzten, so wäre es besser daran, der Reisesessel ist ein wenig hart«, sagte er, wartete aber nicht darauf, ob da jemand Hand anlegen werde, sondern hob sofort die kranke Klara mit seinen starken Armen sachte aus dem Strohsessel und setzte sie mit der größten Sorgfalt auf den weichen Sitz hin. Dann legte er die Tücher über die Knie zurecht und bettete ihr die Füße so bequem auf die Polster, als hätte der Öhi sein Leben lang nichts getan, als Menschen mit kranken Gliedern gepflegt. Die Großmama hatte im höchsten Erstaunen zugeschaut.
»Mein lieber Öhi«, brach sie jetzt aus, »wenn ich wüßte, wo Sie die Krankenpflege erlernt haben, noch heute schickte ich alle Wärterinnen, die ich kenne, dahin, daß sie dasselbe tun. Wie ist denn so etwas möglich?«
Der Öhi lächelte ein wenig. »Es kommt mehr vom Probieren als vom Studieren«, entgegnete er, aber auf seinem Gesichte lag trotz des Lächelns ein Zug der Traurigkeit. Vor seinen Augen war aus längst vergangener Zeit das leidende Antlitz eines Mannes aufgestiegen, der so in einen Stuhl gebettet dasaß und so verstümmelt war, daß er kaum ein Glied mehr gebrauchen konnte. Das war sein Hauptmann, den er in Sizilien nach dem heißen Gefechte so an der Erde gefunden und weggetragen hatte und der ihn nachher als einzigen Pfleger um sich litt und nicht mehr von sich gelassen hatte, bis seine schweren Leiden zu Ende waren. Der Öhi sah seinen Kranken wieder vor sich; es war ihm nicht anders, als ob es jetzt seine Sache sei, die kranke Klara zu pflegen und ihr alle die erleichternden Dienstleistungen zu erweisen, die er so wohl kannte.
Der Himmel lag dunkelblau und wolkenlos über der Hütte und über den Tannen und weit über die hohen Felsen weg, die grau schimmernd hineinragten. Klara konnte sich gar nicht genug umschauen, sie war ganz voller Entzücken über alles, was sie sah.
»O Heidi, wenn ich nur mit dir herumgehen könnte, hier rund um die Hütte und unter die Tannen!« rief sie sehnsüchtig aus. »Wenn ich doch alles mit dir ansehen könnte, was ich schon so lange kenne und doch noch nie gesehen habe!«
Jetzt machte das Heidi eine große Anstrengung, und richtig, es gelang, der Stuhl rollte ganz schön über den trockenen Grasboden hin bis unter die Tannen. Hier wurde haltgemacht. So etwas hatte ja Klara wieder in ihrem Leben nie gesehen, wie die hohen, alten Tannen waren, deren lange, breite Äste bis auf den Boden herabwuchsen und da immer größer und dicker wurden. Auch die Großmama, die den Kindern gefolgt war, stand in hoher Bewunderung da. Sie wußte nicht, was das schönste an den uralten Bäumen war, ob die vollen, rauschenden Wipfel hoch oben im Blau oder die geraden, festen Säulenstämme, die mit ihren gewaltigen Ästen von so
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