Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Mauer war so undurchdringlich, daß wirklich keiner mehr durchstach. Nun stieg sie befriedigt die Leiter hinunter und trat zu den Kindern heraus, die mit strahlenden Angesichtern nahe zusammensaßen und ausmachten, was sie nun tun wollten vom Morgen bis zum Abend, solange Klara auf der Alp bleiben durfte. Aber wie lange würde das sein? Das war nun die große Frage, welche augenblicklich der Großmama vorgelegt wurde. Die sagte, das wisse der Großvater am besten, ihn müßten sie fragen, und als dieser eben herzutrat und nun die Frage an ihn gerichtet wurde, meinte er, vier Wochen seien gerade recht, um beurteilen zu können, ob die Alpluft ihre Schuldigkeit an dem Töchterchen tue oder nicht. Jetzt jubelten die Kinder erst recht auf, denn die Aussicht auf solches Zusammenbleiben übertraf alle ihre Erwartungen.
Nun sah man von unten herauf wieder die Sesselträger und den Pferdeführer mit seinem Tier heranrücken. Die ersteren konnten gleich wieder umkehren.
Als die Großmama sich anschickte, ihr Pferd zu besteigen, rief Klara fröhlich aus: »O Großmama, das ist nun gar kein Abschied, wenn du schon fortreitest, denn nun kommst du von Zeit zu Zeit zu uns zum Besuch auf die Alp, um zu sehen, was wir machen, und das ist dann so lustig, nicht, Heidi?«
Heidi, das heute von einem Vergnügen ins andere fiel, konnte seine zustimmende Antwort nur durch einen hohen Freudensprung ausdrücken.
Nun bestieg die Großmama das feste Saumtier, und der Öhi ergriff den Zügel und führte das Pferd mit sicherer Hand den steilen Berg hinunter. Wie auch die Großmama eiferte, er möchte doch nicht so weit mitgehen, es half nichts: Der Öhi erklärte, er werde ihr sein Geleit bis zum Dörfli hinunter geben, da die Alp so steil und der Ritt nicht ohne Gefahr sei.
In dem einsamen Dörfli gedachte die Großmama, nun sie allein war, nicht zu bleiben. Sie wollte nach Ragaz zurückkehren und von dort aus dann von Zeit zu Zeit ihre Alpenreise wiederholen.
Noch bevor der Öhi wieder zurückgekehrt war, kam der Peter mit seinen Geißen dahergerannt. Als diese merkten, wo das Heidi war, stürzten sie alle der Stelle zu. Im Augenblick war die Klara in ihrem Stuhle samt dem Heidi mitten in dem Rudel drinnen, und drängend und stoßend guckte immer eine der Geißen über die andere her, und jede wurde gleich vom Heidi der Klara genannt und vorgestellt.
So kam es, daß diese in der kürzesten Zeit die langerwünschte Bekanntschaft mit dem kleinen Schneehöppli, dem lustigen Distelfink, den sauberen Geißen des Großvaters, mit allen, allen bis hinauf zum großen Türk gemacht hatte. Der Peter aber stand derweilen abseits und warf seltsam drohende Blicke auf die vergnügte Klara hin.
Als nun die Kinder beide freundlich zu ihm hinüberriefen: »Gute Nacht,
Peter!«, gab er durchaus keine Antwort, sondern hieb mit seiner
Rute so grimmig in die Luft hinein, als wollte er diese völlig
entzweischlagen. Dann lief er davon und sein Gefolge hinter ihm her.
Zu allem Schönen, das Klara heute auf der Alp schon gesehen hatte, kam nun noch der Schluß.
Als sie oben auf dem Heuboden auf dem großen, weichen Bette lag, zu dem nun auch das Heidi emporkletterte, da schaute sie durch das offene runde Loch gerade mitten in die schimmernden Sterne hinein, und voller Entzücken rief sie aus:
»O Heidi, sieh, es ist gerade, wie wenn wir auf einem hohen Wagen in den Himmel hineinfahren würden!«
»Ja, und weißt du, warum die Sterne so voller Freude sind und uns so mit den Augen winken?« fragte das Heidi.
»Nein, das weiß ich nicht; was meinst du denn?« fragte Klara zurück.
»Weil sie droben im Himmel sehen, wie der liebe Gott alles so gut einrichtet für die Menschen, daß sie gar keine Angst haben müssen und ganz sicher sein können, weil alles so kommt, wie es heilsam ist. Das freut sie so; sieh, wie sie winken, daß wir auch so fröhlich sein sollen! Aber weißt du, Klara, wir müssen auch nicht vergessen zu beten, wir müssen recht den lieben Gott bitten, daß er auch an uns denke, wenn er alles so schön einrichtet, daß wir auch immer so sicher sein können und uns vor gar nichts fürchten müssen.«
Jetzt richteten sich die Kinder noch einmal auf und sagten jedes sein Nachtgebet. Dann legte sich das Heidi auf seinen runden Arm und schlief augenblicklich ein. Aber Klara blieb noch lange wach, denn etwas so Wunderbares wie diese Schlafstätte im Sternenschein hatte sie noch in ihrem Leben nicht gesehen.
Sie hatte ja überhaupt kaum je die
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