Heile Welt
hat.
Er setzte den Strohhut auf und fuhr nach Meersburg. Annette von Droste-Hülshoff. Eine Ansichtskarte an Lilli schreiben:«Ich sitze hier vor dem Häuschen Droste-Hülshoffs…», ohne Absender, und an das Fräulein Härtel dachte er dabei, die er vielleicht in zehn Jahren mal wieder trifft und der er es dann vielleicht erzählen wird, wie wohlhabend er durch Fleiß und Tüchtigkeit geworden ist, wie weit er es gebracht hat. Und die bereut es dann, daß sie gedacht hat: Mit dem ist was nicht in Ordnung.
Auf der Ansichtskarte, die er an Lilli schrieb, war nicht das Haus der Dichterin abgebildet, sondern ein Boxer-Hund, dem man eine Schiebermütze aufgesetzt hat und eine Sonnenbrille. Vergiß mein nicht, die Postleitzahl.
In Meersburg auf einer Bank sitzen und zwei Stunden auf die Rückfahrt warten vor einem Lokal, das geschlossen hat, neben einem Bekanntmachungskasten der Gemeindeverwaltung mit eingeschlagener Scheibe.
Zurückfahren nach Lindau, zusammen mit Männern, die eine Arbeitermütze tragen und eine Thermosflasche in der Jackentasche.
Am Heck stand ein Mädchen mit Kranz um den Kopf. Holte aus der Tasche Erdnüsse und warf die Schalen über Bord. Was die Sache interessant machte: Sie weinte dabei, nicht gerade lauthals, von schluchzen keine Rede, aber doch«flennen», so könnte man’s nennen, sie flennte, die Tränen flossen ohne Unterlaß.
Auf dem Bett liegen in einem Zimmer, das mal einem Jüngling gehörte, der das Uniformschiffchen schief auf dem Kopf sitzen hatte und dann in Charkow fiel. Maler hatte er werden wollen und das Geschäft seines Vaters übernehmen.
Vielleicht kehren wir nächtens
immer wieder das Stück zurück,
das wir in der fremden Sonne
mühsam gewonnen haben?
Einen Kanister voll Sonnenblumenöl hatte er mitgebracht bei seinem letzten Urlaub.
Hierbleiben?, fragte sich Matthias. In Lindau als Kellner arbeiten oder als Taxifahrer? Klein-Wense sausen lassen? Wer drei Starts hinter sich hat, kann auch einen vierten riskieren? Warum war er damals nicht gleich nach Süddeutschland gegangen, das war die Frage.
«Bald gibt’s besseres Wetter.»
Was soll man mit Sonnenschein anfangen, wenn man niemanden hat, zu dem man sagen kann:«Schön warm heut, nicht?»Im Cafe sitzen, ohne sagen zu können:«Sieh mal den da, was der für einen verrückten Hut aufhat… »
Im Bett liegen und die Augen an den Tapetenblumen hinaufgleiten lassen und hinunter, immer wieder und wieder. – Hier kam niemand die Treppe heraufgeschlichen, mit einem Teller voll kaltem Braten, Salzgurke dazu. Und niemand, mit dem man die Beine einschlingen konnte, und der Kopf liegt auf der Schulter?
Wenn die Straßenarbeiter Pause machten, ging Matthias die Promenade auf und ab, er setzte sich auf eine Bank und sah über den See hinüber. Kinder in einem großen Ruderboot, sie kriegten die Riemen durcheinander. Sollte er es ihnen denn beibringen, wie man’s macht?
Matthias drehte seine Runden in der Stadt, saß im Cafe, ging zum Fräulein Härtel, die gerade nicht da war, schlenderte das Ufer entlang, und da gab es keinen freundlichen Menschen, der gesagt hätte: Was laufen Sie hier immer so allein herum? Kommen Sie doch zu mir herauf! Sehen Sie sich mal meine Briefmarken an!
Er lief umher, und dann legte er sich aufs Bett und las in seinem Reisebuch:«Im Sattel durch Indochina».
Kino. Nach dem Vorfilm schiebt sich der Vorhang zur Breitwand noch ein bißchen weiter auf.
Matthias hatte zu wählen zwischen«Liane», dem Mädchen aus dem Urwald,«Die Halbstarken»und«Vier Frauen im Sumpf».
Ordinäre Prügeleien unter Frauen sind der Hauptzweck dieses knallbunten Machwerks.
Weil der katholische Filmdienst abriet von den«Vier Frauen im Sumpf», sah er sich den Film an. Er war knallbunt und ordinär. Das Mädchen, neben das er sich setzte, stand nach der Wochenschau auf und setzte sich woanders hin:«Mit dem Mann ist was nicht in Ordnung», dachte sie.
Meersburg, Bregenz. Er fuhr über die Grenze nach Österreich und mit der Seilbahn auf den Pfänder hinauf. Er war der einzigeFahrgast.
Auf dem Gipfel schrieb er wieder eine Postkarte an Lilli, daß er jetzt in Österreich ist und auf dem Pfänder steht, einem Berg, der über tausend Meter hoch ist. Auf der Postkarte war das Panorama der Berge abgebildet, und über jedem Gipfel ein Pfeil mit dem Namen des Berges und wie hoch der ist.
Er stand an der Brüstung des Aussichtsplatzes und sah sich die weißen Berge an, ein Gipfel hinter dem andern und einer
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