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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Lied wohl an New York und an die weite, gefahrvolle Reise, und er fragte sich, ob er auch nichts vergessen hat, Lebensversicherung, G-epäckversicherung, und: Was macht man, wenn die Frau krank wird?… Er sah das Flugzeug abstürzen, es stellt sich auf die Schnauze und rast vom Himmel herab. Er würde die Hand seiner Frau nehmen und vielleicht laut auflachen? Weil das Leben so kurios ist? Vielleicht auch nicht lachen. Vielleicht ist das dann ja alles ganz anders. Eh’ man 6000 Meter runter ist, vergehen gewiß fünf Minuten? In solcher Lage geht einem manches durch den Kopf.

    Jeder Bauer hatte Verwandte in Amerika, in mehreren Schüben ausgewandert, die sprachen immer noch Platt da drüben, und mancher war schon mal wieder hiergewesen, um die Großeltern noch einmal zu sehen. Manch einer hatte auch im Bombenflugzeug gesessen 1944 und mit Jabos Jagd gemacht auf pflügende Bauern, aber nach dem Krieg Pakete geschickt. Und jetzt auf Wacht in Berlin.

    Die Bauern – auch so ein Thema.«Köst datt watt?»Typische Frage im Gemeinderat. Die würden am liebsten eierlegende Wollmilchsäue züchten.
    Im Weltkrieg hatten sie billige Kriegsgefangene als Arbeitskräfte gehabt, dann kamen die Nazis mit dem Reichsarbeitsdienst, die legten ihnen die Wiesen trocken, und dann wieder Franzosen und Belgier als Sklaven, und nach 45 die Flüchtlinge, auch als Sklaven. Wo wohl die Teppiche lagen und die silbernen Löffel, die ihnen von den ausgehungerten Städtern angeschleppt worden waren, so recht hatte die noch niemand gesehen.

    Das Lagerfeuer wurde geschürt, daß die Funken flogen, und in angeheitertem Zustand ging man in die Turnhalle hinüber: das nagelneue Trampolin ausprobieren, so was kannte man nicht. Lustig, wie die Haare und die Schlipse in der Luft stehenblieben! Der Amerikafahrer beteiligte sich nicht an diesem Sport. Das hätte noch gefehlt! Einen Tag vor der Reise sich das Bein brechen!
    Auch der Fernsehapparat, der in der Wohnung stand, war interessant, leider keine Sendung mehr, dreiundzwanzig Uhr, da war längst Feierabend.

    Die drei Junglehrerinnen wisperten miteinander, die schwangere Helga Jungmichel – ihre hohe Stunde stand nun nahe bevor – erzählte von ihrer Prüfung, wie gemein der Regierungsschulrat gewesen sei, aber«Egon»ganz menschlich. Wie’s ihr geht und ob sie sich nicht zwischendurch ein wenig hinlegen will? Sie hatte über Paris unterrichtet, mit Stadtplänen und Diareihen. Dazu ein Bild von Monet an die Pinnwand gehängt und zum Schluß«Sur le pont d’Avignon»singen lassen… Dieses Lied habe mit Paris nichts zu tun, hatte der Regierungsschulrat hinterher moniert, das war’ ja so, als ob ein Hamburger jodelt! Aber er hatte trotzdem mitgeklatscht beim Singen. (Das habe ihr unheimlich Auftrieb gegeben.) Sie sei ein tapferes kleines Frauchen, hatte er schließlich gemeint. Im übrigen hatte sie eine schiefe Gebärmutter gehabt, die hatte der Gynäkologe geradezubiegen versucht, und dabei habe sich der Eierstock entzündet. Der Arzt hätte in ihr herumgefuhrwerkt, daß es nur so gekracht hätte… Aber nun sei alles in Ordnung. Da! Das Kind strampelte mit den Beinen.
    Bald schon kam ihr Mann und holte sie ab. Ingenieur war er von Beruf, er trank zwar ein Bier mit, da ließ er sich nicht lumpen, aber er setzte sich doch ein wenig seitab, so daß es ein jeder sah: Dieser Mann hat mit Volksschullehrern nichts zu tun, er gehört in eine andere Kategorie. Im übrigen fuhr er einen BMW, was nachdenklich registriert wurde von den Lehrern.
    Es wurde lustig, und die Gesänge wurden lauter und ungenauer. An der Art, wie Färsel seine Frau rief -«Fri – e – rike!»-, konnte man hören, daß er schon allerhand Bier und Weinbrand getrunken hatte, Bier mit Weinbrand , das war seine Vorliebe, von Korn bekam er Kopfschmerzen.
    War einst ein kleines Segelschiffchen,
das war noch nie, nie, nie, noch nie zur See…
    Die Seglerkameradschaft gab den Ton an, und es war gut, daß sie es tat, was hätte man ohne Stimmung angefangen an einem solchen Abend?
    «Der Krug geht so lange zum Munde, bis man bricht.»
    In unangenehmer Erinnerung waren noch die dreihundert Dias, die sie im letzten Jahr vorgeführt hatten, Segelboot nach links geneigt, Segelboot nach rechts geneigt. Sie hatten insgeheim vor, Färsel in Norwegen einen Besuch abzustatten, immer wieder fragten sie ihn, wo denn nun genau die Ferienwohnung sei, so daß der schon mißtrauisch wurde.

    Die Segler? Das waren gute Kerle. Es waren überhaupt alles

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