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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Lehrer«gemeint»ist, und sie zählte die Namen derjenigen her, die am wildesten fortgerannt waren.

    Angenehm war es, daß man sich durch das Hin und Her den Umweg zum Hünengrab ersparte. Das kannten sowieso schon alle.

    Nun war der See erreicht. Die Kinder liefen um den See herum, peitschten das Wasser mit ihren Stöcken und schrien. Die Stille der Natur übte keine wohltätige Wirkung aus auf sie.
    Was sollen wir machen?, fragten sie sich, Gott, ist das langweilig… Keine Schule, das war noch das einzig Gute.

    Matthias löste sich behutsam von dem Mädchen Ursula, behutsam, damit sie keinen Lebensschock kriegt und womöglich später unverheiratet bleibt, und dann ließ er sein Boot zu Wasser, auf dem ein Käfer deponiert wurde.
    Matthias zeigte ihr einen runden, dunkelgrünen Moosplaggen, hob ihn sachte ab vom Boden und legte ihn in eine Mulde. Die andern sahen zu: dies war ein Bett für Zwerge. Mit Stöckchen wurde ein Zaun gebaut und mit Borke ein Haus. Nach und nach kamen auch andere Kinder herbei, die sich müde getobt hatten, und bauten auch Zwergenhäuser.
    Die Großen hatten inzwischen Spielkarten aus der Tasche gezogen und spielten, zwischen Waldgräsern gelagert, Sechsundsechzig. Ab und zu lachten sie laut, und das klang ziemlich roh.
    Andere wateten im See herum, es war eine Art Dreckloch, von Karpfen bewohnt, die der Förster hineingesetzt hatte. Mit Frühstücksbrot ließen sie sich anlocken.
    Marianne durfte die Tintenfässer im See waschen, die man zu diesen Zweck mitgenommen hatte.
    Matthias holte ein Säckchen mit Marmeln aus der Tasche und kerbte mit der Hand eine Bahn in den Abhang und ließ die Kugeln hinunterrollen. Damit lockte er die noch untätigen Kinder an, und nun waren sie alle beschäftigt. Die einen richteten Haus und Hof für Zwerge, die andern bauten eine Kugelbahn, und die Großen lagen im Gras und spielten Karten, oder was machten sie eigentlich da drüben? Daß sie sich mit einem Frosch beschäftigten, sah Matthias nicht, Marianne berichtete ihm davon, von Hinni hätte er das nicht erwartet.
    Nun stieg einer auf eine Eiche, immer höher hinauf; er würde hinunterfallen können. Aber Matthias war das egal. Das wird er schon nicht, er wird sich schon in acht nehmen, daß er sich kein Bein bricht. Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht würde man ihm schon nicht ankreiden, und zu einem Auflauf würde es nicht kommen, mit Fenster einschlagen und Racheweibern, der Hoferbe für immer zum Krüppel geworden? Vom Baum fallen, das war etwas anderes als ertrinken.
    Beruhigend war es, daß Marianne immer wieder hin-und herpendelte und Bericht erstattete. So hätte Matthias im letzten Augenblick vielleicht doch noch einschreiten können mit Machtworten oder mit der Drohung, nie wieder mit der Klasse in den Wald zu gehen.

    Am Rande des Sees stand eine Hütte, sie war von den französischen Gefangenen gebaut worden, die Schonungen anlegten, die inzwischen schon zu Wäldern aufgewachsen waren, in denen man bereits wieder Holz einschlug. Eine Hütte für Werkzeug und zum Unterstellen bei Regen. So manches Stelldichein mochte hier stattgefunden haben, zwischen Freund und Feind.

    Zwergenhäuser bauen, Murmeln kullern lassen, Karten spielen – das waren beschauliche Stunden, und keiner schrie oder tobte mehr, und nun hätte der Förster ruhig kommen können und fragen: «Was machen Sie hier eigentlich?»Matthias hatte sich in den Schatten eines Baumes gelegt, und er hütete sich, die Kinder anzusprechen, er wollte seine Ruhe haben, und dazu war es nötig, daß die Kinder beschäftigt waren. Ab und zu kam eins und zeigte einen lädierten Käfer, da sagte er dann lediglich: Schön! oder: Den bringen wir morgen zum Tierarzt. Kurz sein, damit sie nicht alle ankommen und dauernd Käfer zeigen, keine Ahnung, was das für Gesellen sind. Eigentlich ja schade.

    In der Ferne ließ sich der Schienenbus vernehmen: Biööt! Weit genug entfernt, da brauchte kein Kind zurückgerissen zu werden. Und unter dem Himmel kreisten große Vögel, die sich wunderten: was das hier für ein Gewese ist.

    Mit der Zeit kamen dann eben doch einzelne Kinder zu Matthias und setzten sich an seine Seite. Die Kleinen setzten sich so halb auf ihn drauf, die Zwergenhäuser waren fertig, die Kugelbahnen auch – die Sache ging ihrem natürlichen Abschluß entgegen. Marianne erstattete letzte Berichte, und eben in diesem Augenblick kam ein Fahrrad angescheppert. Es war Ellinor von Kallroy, die sich an ihre Kindheit erinnert

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