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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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des Tisches waren leicht geschwungen. Dieses Möbelstück würde in die Stube zu stellen sein, vor das Sofa, ein Stuhl würde sich auch noch anfinden.

    Durch eine Tür gelangte man nach draußen, in den Garten, drei Stufen hinunter, ein großer Schulmeistergarten für Gemüse, Blumen und Obst.
    Der Garten war mit einem Holzzaun vom Schulhof abgetrennt, Matthias nahm den Brief an sich und ging an den grabhügelartigen Beeten entlang ganz nach hinten, wo eine sechseckige Laube stand, grün mit weißen Sprossen. Hier hatte Kollege Schmauch vermutlich das Schulverwaltungsblatt gelesen, auf der letzten Seite die Stellenanzeigen, in denen ratlose Gemeinden Lehrer suchten,«neurenovierte»Dienstwohnungen und sogar Volkswagen boten sie, wenn sie bloß einen Lehrer kriegten!
    Matthias setzte sich in die von blühenden Büschen umstandene Laube und sah einer Katze zu, die einen sich ruckartig hebenden Maulwurfshaufen unter Kontrolle hielt.
    Das von Büschen und Bäumen eingekuschelte Schulhaus: links die Wohnräume, vier Fenster, rechts die Klasse, auch vier Fenster, deren unterste Felder gegen das Hinausgucken allerdings weiß gestrichen waren. Und nebenan ein großes altes Bauernhaus, aus dessen Giebelfenster ein alter Mann reglos herausschaute.
    Ein Hühnerhof, ein Stall und am Kirschbaum ein Nistkasten. Darunter, wie auf einem«Anschauungsbild»eine grün gestrichene Handpumpe.
    In den Blumenbeeten hatten sich offenbar die Nachbarn bedient: jemand hatte Stauden ausgerissen, das Erdreich war noch frisch. Nachbarn, die sich gerächt hatten für Ungerechtigkeiten, die sie als Schüler von Herrn Schmauch erlitten haben mochten. Hühner machten sich an dem Erdreich mit wegwerfenden Gesten zu schaffen, Hühner, die hier nichts zu suchen hatten. Matthias holte eine Harke aus dem Stall, jagte sie fort und schob die Staudenlöcher zu.

    In dem Brief des Vorgängers stand, daß er dreißig schwere, aber gesegnete Jahre lang Lehrer in Klein-Wense gewesen sei. Er habe das Leben kommen und gehen sehen, und er wünsche seinem jungen Nachfolger Gottes reichen Segen.
    «Im Grunde sind die Leute hier ganz in Ordnung…»
    Die Akten lägen im Klassenzimmer, im Lehrerpult, und am Montag beginne die Schule um acht Uhr. Und wenn noch irgend etwas wär’… Adresse und Telefonnummer: Lehrer Schmauch hatte sich an den Bodensee zurückgezogen, hatte sich von Schnaps und Bier auf Wein umgestellt – das zeugte von Stil.
    «Ich werde ebenfalls an den Bodensee gehen, wenn es einmal soweit ist», dachte Matthias. Er würde dort, wie er es in seiner Heimat getan hatte, übers Wasser gucken und den Schwänen zusehen, wenn sie über das Wasser gleiten.

    Als er da so saß und irgendwie hoffte, daß die Katze den Maulwurf nicht kriegt, hörte er im Haus die Schneppglocke anschlagen. Ein junger Mann kam durch das Haus in den Garten geschritten, ein sogenannter«ungarischer Student», der ihm lächelnd eine Rundfunkzeitung verkaufen wollte. Er durfte sich setzen, und Matthias erzählte ihm, daß er eben grade angekommen sei und das Haus in Besitz genommen habe; als neuer Schulmeister wolle er in diesem Dorf einen neuen Lebensabschnitt beginnen, nach diversen Fehlstarts.
    Der ungarische Student ließ durchblicken, daß er allerhand Schweres erlebt habe, also auch diverse Fehlstarts, aber wenn es ihm gelänge noch zehn Abonnements abzuschließen, dann bekomme er einen Firmenwagen gestellt, rutsche also in eine bessere Position hinein, werde eine Art Obervertreter.
    Matthias hingegen ließ durchblicken, daß auch er allerhand Schweres hinter sich habe und mangels Masse – er habe komischerweise keinen Pfennig Geld in der Tasche – keine Zeitung abonnieren könne. Außerdem besitze er gar kein Radio, von einem Fernsehapparat ganz zu schweigen.
    Er ging mit dem Mann, der zwar fremdländisch sprach, aber sicher kein Ungar war und schon gar kein Student, durch das leere Haus, und der ließ sich dann auch tatsächlich davon überzeugen, daß hier nichts zu holen war. – Toi-toi-toi wünschten sie einander und schieden mit Handschlag.
    In der Küche schnitt Matthias ihm dann noch ein Stück Kuchen ab, und da machte der junge Mann irgendwie bitte-bitte!, ob er sich nicht überwinden kann und doch die Zeitung abonnieren? Und da konnte Matthias nicht widerstehen, er ließ sich den Wisch reichen und unterschrieb. Hier nicht zu unterschreiben, hätte Unglück heraufbeschworen, ein böses Zeichen gesetzt. Nochmaliges toi-toi-toi, und dann klickte die Schneppglocke,

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