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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sei auch kein Kind von Traurigkeit, die haue auch gern mal über den Zappen.

    Er meine – und hier zeigte es sich, daß der Kamerad bereits über alles nachgedacht hatte -, ob Matthias ihm nicht seinen quasi nagelneuen Caravan abkaufen wollte, mit dem er sogar schon in Griechenland gewesen war, durch dick und dünn? Wenn er in Klein-Wense ein Sommerhaus sein eigen nenne, dann brauche er den ja nicht mehr. Lange genug in der Welt herumgejuckelt… Es habe noch etwas Zeit, erst im Frühjahr solle die Sache über die Bühne gehen, und danach brauche er den Caravan ja nicht mehr. Das Durch-die-Gegend-Juckeln sei dann eine Angelegenheit der Vergangenheit. Für die Kinder sei das Herumgereise im übrigen gar nicht gut, das habe er leider erst zu spät gemerkt! Die müßten wissen, wo sie hingehören. Aber für Matthias als Junggesellen wär’ das doch herrlich, ganz Deutschland kennenzulernen, und dann bei Freiburg nach Frankreich rüber und durch Spanien hindurch bis nach Gibraltar, wo’s Affen gibt in freier Wildbahn? Mal raus hier aus dem Nest, er versauert hier ja?
    «Warst du schon mal in Italien?»
    Er holte die Europakarte aus dem Wagen und breitete sie auf dem Tisch aus: Und dann fuhr er mit dem Zeigefinger die Autobahnen entlang und zeigte es Matthias, wohin man überall fahren kann, wenn man im Besitz eines Caravan ist.

    Sie gingen den Wagen ansehen, innen und außen frisch gewaschen, aber Matthias schaute nur kurz hinein, er wußte schon, daß er ihm gefallen würde. Dem kam die Sache plausibel vor.

    Als sie dann an der Eische standen, zeigte Bentwitsch mit großen Gesten: von hier bis hier die Baracke, dort die Sandkiste. Und dort den Steg, und dann ein Boot anschaffen und mit dem Ding gemütlich an die Nordsee schippern oder flußaufwärts bis Hannoversch Münden, wenn’s einem mal zuviel wird mit der ländlichen Natur. Also er dann mit einem Motorboot übers Wassernetz tuckern und Matthias mit dem Caravan nach Spanien oder sonstwohin, und von Zeit zu Zeit nach Klein-Wense zurückkehren und sich austauschen?

    Matthias kratzte sich nicht am Kopf. Er dachte: Warum eigentlich nicht?
    Aber woher das Geld nehmen, das war die Frage.
    Aber das brauchte ja nicht sofort entschieden zu werden, das hatte ja Zeit.

    Bentwitsch lud seinen Kameraden, der hier ja offensichtlich versauerte und endlich, jedenfalls zeitweilig, mal raus mußte, zum Essen in sein Auto ein, auf dem Propangaskocher briet er Koteletts, und sie tranken ein Bier nach dem anderen, obwohl Matthias das Bier gar nicht mochte und Bentwitsch es eigentlich nicht trinken sollte, weil er ja noch nach Wuppertal zurückkehren mußte, eine ziemliche Strecke, aber fast nur Autobahn.
    Als er dann alle Schubladen herauszog und demonstrierte, wie man das Geschirr am besten festzurrt, damit es nicht klirrt beim Fahren, und die Bank zum Bett umfunktioniert, die Kissen aufschüttelt und so weiter, stellte sich Carla mit ihrem grinsenden Eleven ein, und die tranken auch Bier, und dann überlegten sie, ob sie sich nicht auch so ein Dings kaufen sollen, eines Tages, aber natürlich’n bißchen größer.
    «Wie so’ ne Schneck!»sagte der Eleve.

    Am Nachmittag zählte Matthias sein Kugelgeld, und er fand, daß es eigentlich dicke reichen müßte, irgendwie. Notfalls könnte man ja auch die Sparverträge beleihen, bei denen der Staat die Hälfte zuzahlt.
    Kaufen das Dings und durch die Gegend juckeln, und eines Tages, wenn es seine Schuldigkeit getan hat, an Carla Freede weiterverscheuern.
    Er guckte noch einmal in den Stall, ob sich die Mappe nicht doch noch irgendwo findet, aber das war nicht der Fall, sie war so absolut weg. Es kam Matthias so vor, als habe sie nie existiert.

    Zur Abendandacht fuhr Matthias nach Sassenholz. Für diesen Tag hatte sich Pastor Ortlepp etwas ganz Besonderes ausgedacht: eine geistliche Abendmusik. Davon wußte Matthias nichts, als er in der kalten Kirche saß und in die Hände hauchte. Ein paar windschiefe Grabsteine auf dem Kirchhof, aus Pietät stehengelassen und wegen der Schönheit. Und auf der Empore fällt einer Bauersfrau der Regenschirm hin.

    Kultur aufs Dorf tragen, hatte der Pastor gedacht, und er hatte zu seiner Frau gesagt:«Anneliese: wir müssen Kultur aufs Dorf tragen. »
    Seid stille in dem Herrn,
denn des Herrn großer Tag ist nahe!
Er ist nahe und eilet sehr!
    schrie er zunächst einmal auf die grauen, gegerbten Köpfe der Bauerngemeinde herunter. Es hallte zu ihm zurück, und alle horchten, wie’s nun wohl

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