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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einer Seglerkneipe, in Jeans! Und der dann so getan, als ob er sie nicht kennt, wollte seine Ruhe haben oder was? Immer so küß die Hand zu den Lehrerinnen, und als die eine sich mal hinlegen mußte, wie das so ist mit Frauen, Wärmflasche auf den Leib, sich neben sie gestellt und gefragt:«Um Gottes willen, was ist denn?»Und:«Geht es Ihnen nun schon besser?»obwohl man ihm bedeutet hatte, daß solche Sachen irgendwie ganz normal sind. Auch der Pastor wurde durch den Kakao gezogen, eigentlich ja’n ganz vernünftiger Mann. Seine Frau wohl’n bißchen überkandidelt. Bürstet ihm immer die Anzüge aus und so in diesem Stil.«Und er bürstet dann woanders…»
    Was er aufbaut, reißt sie nieder, so werde gesagt.
    Ob Matthias sich nicht mal beweiben will?, wurde er gefragt, sollten sie mal’n bißchen nachhelfen?

    Eben doch noch mal in die«gute Stube»rübergehen, der Boß war es, der plötzlich diesen Antrieb hatte, der Instinkt hatte ihn dazu getrieben, denn hier lagen die Instrumente, diese schönen Messingsachen zum Durchgucken und dran Schrauben. Sie wurden herausgeholt aus den Edelholzkästen und sorgfältig beäugt. Kompasse jeder Art, eine Taschensonnenuhr und ein Mikroskop, und zwar keine Schülersache vom Kosmos-Verlag, sondern ganz regulär.
    Unter diesen blanken Apparaten fand sich wahrhaftig auch ein Sextant! Du lieber Himmel. Schade, daß jetzt Abend war, sonst hätte man mal die Länge und Breite von Klein-Wense bestimmen können, wieviel Sekunden und Minuten, und das dann auf ein Schild schreiben und hier aufhängen irgendwo. Damit man weiß, wo man sich überhaupt befindet!
    Der Besitz dieser schönen Sachen ließ Matthias hoch steigen in der Achtung der Kerle, das hätten sie nicht gedacht, daß er so schöne alte Instrumente hat. Sie hätten gemeint, er befasse sich mit Spinnrädern oder so’ n Zeugs, wie Kollege Klein in Sassenholz, der ja wohl völlig verrückt geworden sei.

    So plötzlich, wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder, und ebenfalls mit großem Getöse.
    Unangenehm war, daß sie, wie schnell sie auch wieder gingen, an der Tür stehenblieben und noch endlos weiterredeten. Dann hätten sie ja auch noch etwas dableiben können. Durch ein entschiedenes«Na, denn…»konnte Matthias die Sache zu Ende bringen.
    Er ließ sich ins Sofa fallen: Noch eine ganze Weile war es so, als brausten Wind und Regen durch das Haus, und in den Ohren rauschte es.
    Dann glätteten sich die Wogen. Matthias kam sein Haus auf einmal sehr still vor. So als sei Flaute eingetreten. Nichts rührte sich mehr, und auch Matthias saß und bewegte sich nicht. Irgendwann einen Gegenbesuch machen? Nicht zu lange warten damit, sonst wäre diese – ja, konnte man«zarte»sagen? – aufkommende – ja, konnte man«Freundschaft»sagen? – im Keime erstickt. Ein angenehmer Gedanke, daß man nun jemanden hatte, den man aufsuchen konnte in trüben Stunden. Aber auch bedrängend. Wenn man’s nun nicht tut? Immer wieder hinausschieben, und dann ist es irgendwann zu spät?«Dieser Mensch scheint ein Eigenbrötler zu sein», sagen sie und lassen sich nie wieder sehen. Wie leicht kann sich Zuneigung in Feindschaft wandeln, das hatte Matthias schon erlebt.

    Wenn er den Besuch nicht rechtzeitig erwiderte, würde es die Runde machen: daß Jänicke in Klein-Wense, ohne h aber mit ck eine ausgesprochene Flasche ist. Daß sie ihn bereits einen«Traumtänzer»nannten, konnte er ja nicht wissen. Das war ja auch nicht unbedingt negativ gemeint.
    Matthias hätte ihnen gern von seinem Bildermappenmalheur erzählt, er hatte es schon auf der Zunge.«Aber gut, daß ich’s nicht getan habe», dachte er. Daß in seiner blanken Stube mitten auf dem Teppich ein Dreckplacken lag, hatte wohl mit den Profilsohlen der Leute zu tun, die für Landverhältnisse ja auch denkbar ungeeignet waren.

    Matthias stellte alles wieder richtig hin und nahm seine Messinggeräte in die Hand und tat sie wieder in die Kästen. Die genauesten Präzisionsinstrumente waren das, für alle möglichen Zwecke, aber Matthias hatte keine Ahnung, was er damit messen sollte. Er lüftete und warf den Dreckplacken mit dem Kehrblech in den Garten.
    Es war nicht von der Hand zu weisen, daß sich seine Situation geändert hatte.
    In dieser Nacht kam Carla schon etwas zeitiger die Treppe herauf. Sie wollte wohl wissen, was das für ein Aufstand gewesen war. Matthias hatte also jemanden, dem er von den verschiedenen Besuchen dieses Tages erzählen konnte.

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