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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mit der er sich und seinen Freund einstimmen wollte, auf Erinnerungsfischzüge in schwere Zeiten, die ja an sich ganz lustig gewesen waren.
    … ist bunt für den nur, der’s für Buntes hält…

    sprach er weiter, aber Matthias reagierte nicht darauf. Das war nun doch schon etwas abgestanden.
    «Die vielen Toten…», sagten sie und erinnerten einander an Kameraden, denen die Freiheit nicht bekommen war. Von den anderen, die die Freiheit gar nicht wieder zu sehen bekommen hatten, sprachen sie nicht, die existierten nur als Zahl. In die Grube geworfen, Kalk drüber und zugeschaufelt.

    Er habe soeben leider etwas erlebt, was ihm nicht gefalle, sagte Matthias auf-und abgehend. Das kleine Mädchen, das er gewiß beim letztenmal gesehen habe, Marianne, dünne Zöpfe und mit Schürze um, habe ihn beklaut, nicht viel weggenommen, aber doch wohl so drei, vier Mark?
    Da erinnerte der Kamerad sich an seinen Vater, der ihn mal schwer verprügelt hatte wegen eines ähnlichen Delikts, aus dem Haushaltsportemonnaie seiner Mutter was genommen und Lakritze davon gekauft, das wär’ ihm eine Lehre gewesen für immer und ewig, er empfehle Matthias dringend, so etwas nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Als Pädagoge könne er sich das nicht leisten!«Wenn man da lockerläßt, geht die ganze Gesellschaft hops!»
    Seine Mutter übrigens, eine herzensgute Frau, sei dann am Abend an sein Bett gekommen und habe ihn getröstet, immer so gut gewesen, so gut!
    «Erst bestrafen und dann trösten.»

    Der Kamerad aus alten Tagen war diesmal in konkreter Absicht nach Klein-Wense gekommen, das wurde rasch deutlich. Eben war er bereits bei Carla gewesen, gegenüber, er hatte sie abgepaßt, als sie aus der Kirche kam, und hatte in der guten Stube bei ihr gesessen. Auch der irgendwie grinsende Eleve war dagewesen und hatte an dem Gespräch teilgenommen: Um was es hier geht, und was das soll. Um das Grundstück an der Eische ging es, darauf hatte es Bentwitsch abgesehen, und er war ziemlich geradewegs darauf zugesteuert, ohne Umstände. Da Carla seit dem Sommer ohnehin ans Landverkaufen gedacht hatte, die Kammer und den Schweinestall umbauen, und die Butze muß endlich weg, brauchten keine großen Umwege gemacht zu werden: Das Ziel wurde direkt angesteuert, und nach kurzem Hin und Her war man handelseinig geworden: Acht Morgen, zur Hälfte Wald, direkt an der Eische gelegen, so sah das Ergebnis aus, und sie hatten einen Schnaps darauf getrunken, und der Eleve hatte versprochen, den Acker vor der Übereignung noch einmal umzupflügen und zu düngen und dann Gras anzusäen.

    «Und da wird dann’ne Hütte draufgestellt, eine Baracke, und dann haben wir unser Sommerhaus», sagte Bentwitsch zu Matthias, und er sah den schwarzen Eischefluß vor sich, wie er sich aus dem Wald hervorschlängelt, an seinem eigenen Grundstück vorüber, und sich selbst sah er auf dem eigenen Bootssteg sitzen, den er dann ins Wasser hineintreiben würde, und angeln. Und im Hintergrund sah er seine Frau Wäsche aufhängen und die Kinder in der Sandkiste spielen. Die Hütte natürlich selbst ausbauen, so was macht ja Spaß, Fenster mit Aussicht auf Flüßchen und Wald, morgens hinausgucken, die frische Luft, und vom Dorf her bimmelt das Glöckchen?
    «Ich habe ein Haus in Norddeutschland», würde er zu seinen Kollegen sagen, und die würden sich dann wundern und ihn beneiden und sich vielleicht einmieten für ein geringes Salär, zuzüglich Wasser, Gas und Elektrisch, wenn er grade mal nicht da ist. – Auch für seine Mutter so schön, die alte Frau, nie richtig Urlaub gemacht, immer nur gearbeitet.

    Das klang ja alles wunderbar. Aber Matthias spürte es dem Kameraden an, daß dessen konkrete Visionen umterm Honigtopf noch einen Haken hatten.
    Drei Stück Zucker,«mir bitte keinen».
    Woher das Geld nehmen, das war die Frage, die den Sparkassenbeamten Bentwitsch bewegte, er könnte ja einen Kredit aufnehmen, aber in der eigenen Bank war das doch nicht so angenehm, und zur Konkurrenz gehen, das mochte er auch nicht tun. Und da wollte er nun mal bei Matthias anfragen, ob der nicht… Er meine, das wär’ doch wunderbar, wenn sie beide hier in Klein-Wense sich abends immer schön treffen könnten und beim Bier von damals sprechen, von den schweren Zeiten, die manchmal auch ganz lustig gewesen waren. Zusammen dann auch mal was unternehmen, ganz klar, Hamburg und Bremen waren ja einen Katzensprung entfernt. Fußball zum Beispiel, Werder Bremen oder HSV? – Waltraud

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