Heile Welt
Weihnachtsfeier! Sie kam unerbittlich näher und näher. Ein Krippenspiel war Matthias vom Bürgermeister ans Herz gelegt worden, Frau Schmauch habe das immer so gut hingekriegt, Jahr um Jahr, die Gemeinde habe ihm doch extra die ganze Wohnung renoviert und nun womöglich nicht einmal ein Weihnachts-Bunter-Abend?
Also studierte Matthias ein Krippenspiel ein, das er sich von der Seglerkameradschaft lieh, die das ihrerseits von ihrem Vorgänger geerbt hatte, Copyright 1926, mit Regieanweisungen und Streichungen der verschiedensten Lehrer versehen, wovon Matthias einiges billigte, anderes durchaus nicht. In dem Stück wurde im übrigen viel gesungen und getanzt, wodurch man bequem auf die nötige Länge kam.
In einer plötzlichen Anwandlung setzte Matthias es durch, daß Marianne als Maria im Stroh sitzen durfte, eine Puppe auf dem Schoß, zuerst nicht, aus Strafe, weil sie den Lehrer bestohlen hatte, wo der doch immer so nett war, aber dann doch, ganz ohne Hand auflegen: Zeichen setzen, man muß auch vergessen können, und das löste keine Tränen aus, das norddeutsche Kind ließ sich nichts anmerken. Im übrigen machte sie ihre Sache schon bei den Proben so gut, daß Matthias ein wenig dahinschmolz, nicht gänzlich dahinschmolz, weil er sich über sich selbst ärgerte, die Freundschaft zu einem Schulmädchen so ernst zu nehmen, anstatt zu handeln und zu«behandeln», wie es nun einmal Schulmeisters Sache war. Dann nickte er ihr aber doch zu, in einem Augenblick allerdings, in dem sie gerade woanders hinguckte.
Der Saal des Gasthofes war festlich geschmückt, noch vom Schützenfest her, mit durchhängenden roten, grünen und silbernen Stanniolgirlanden. Eltern und Großeltern saßen an langen gedeckten Tischen, es wurde Kaffee ausgeschenkt und Bier, und kleinere Kinder stellten mitten in die eintretende Stille hinein laute Fragen. Es war der Landhandelsdirektor auszumachen mit seiner jungen Gattin, städtisch aufgezäumt. Carla mit ihrem Eleven, und sogar ein Mann aus Amerika, 1936 nach drüben gegangen und nun die alte Heimat mal wieder sehen… Damals war ein ganz ähnliches Krippenspiel aufgeführt worden, und er hatte den Negerkönig machen dürfen. – Am Tresen, ganz hinten am Ende des Saals, saßen ein paar Betrunkene, die sahen mit glasigen Augen zur Bühne hin, die waren auch mal jung gewesen. Sie dolmetschten dem Blinden mit lauter Stimme das Geschehen.
Der Posaunenchor hatte sich eingestellt, und Matthias reihte sich ein mit seiner blankgeputzten Zugposaune, und in den Männerchor stellte er sich auch, als der an der Reihe war, in den zweiten Tenor. Das wurde ihm hoch angerechnet, obwohl man es nicht begreifen konnte, daß er kein Mitglied dieser Vereine werden wollte. Immer waren alle Lehrer Mitglied sämtlicher Vereine gewesen, seit alters her, und nun sollte das auf einmal nicht mehr gelten? Wo doch jeder Mann gebraucht wurde? Fremd war das und störend. Hier stellte sich jemand außerhalb der Gemeinschaft, der doch eigentlich dazugehörte?
Der Schifferklavierspieler hatte hinzugezogen werden können in letzter Minute,«Tanzende Finger», auf so etwas konnte nicht verzichtet werden. Heini war doch sonst immer dabeigewesen? Was sprach dagegen?
So drückte es denn auch der Bürgermeister aus in seiner Rede, neue Lehrer brächten natürlich auch zum Teil Fremdes mit, an das man sich erst gewöhnen müsse, aber heute, an diesem Abend, merkten es wohl alle, daß der neue Lehrer gar nicht so verkehrt sei. Im übrigen freue er sich, diesen weihnachtlichen Abend mit fünfzig Mark bezuschussen zu können, der Gemeinderat habe das einstimmig beschlossen.
Es wurde viel gesungen, und es wurden Gedichte aufgesagt. Vom Himmel hoch, da komm’ ich her… Ein Knabe trat vor und sang sämtliche Strophen dieses Liedes mit hoher, heller Stimme, ohne jegliche Begleitung. Dann trat der Weihnachtsmann auf, mit Sack und Rute, von Gitte und Luers als männliche und weibliche Knecht Ruprechte begleitet, und schenkte dem Lehrer einen bunt eingewickelten Schuhkarton voll Äpfel! Dafür gab es einen Sonderapplaus. Ein Schuhkarton voll Äpfel, das war dem Mann zu gönnen, der uns hier ein so schönes Weihnachtsfest bereitet hat. Luers hatte sich zunächst geweigert, auf die Bühne zu gehen, doch Gitte hielt ihn am Ärmel und zog ihn in das Rampenlicht.
Herzstück der Darbietungen war ein Schneeflockentanz der Mädchen, sie wirbelten in weißen Gewändern mehr oder minder graziös umeinander. Ihr Reigen wurde von einem
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