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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Lorbeeren ausruhen! Kollege Stichnoth würde ihn in Klein-Wense vertreten, im übrigen sei Lesseps ein altes Renaissanceschloß an der Weser, es zähle mit zu den angenehmsten Tagungsstätten im Lande.
    Matthias wurde als Glückspilz bezeichnet, und:«Weserrenaissance! »wurde gerufen,«… wenn Sie wissen, was ich damit meine! »

    Matthias fuhr also, und er hatte Glück, die Sache stellte sich als angenehm heraus. Ein-und auszugehen in dem altertümlichen Schloß, im verschneiten Park herumzuspazieren unter knarrenden Bäumen, in denen Krähen horsten, immer den Blick auf original Weserrenaissance mit welschen Giebeln und reich verzierten Ausluchten und einem in die Ecke des Hofes gedrückten Treppenturm, in dem man, wenn man Glück hatte, sogar eine echte Gräfin hinauf-oder hinuntersteigen sah.

    Allerdings hatten Tommies das Schloß nach dem Krieg leergeplündert, kein Bild, kein Gobelin, nichts war übriggeblieben von alter Herrlichkeit. Die antiken Fayenceteller als Geschirr benutzt und aus dem Fenster geschmissen… Den Dreißigjährigen Krieg überstanden und die Revolution 1918, in der anderwärts rote Bürgervertreter vergoldete Stühle aus dem Fenster geworfen hatten, kein Bombentreffer, keine zerstörungswütigen Soldaten, die hier in den letzten Kriegstagen noch das Vaterland hatte retten wollen – aber dann, nachdem schon alles überstanden zu sein schien, Totalschaden! Auf chinesische Vasen hatten die Boys Scheibegeschossen und mit der Barockbibliothek gar den Kamin geheizt. Im zerbrechlichen Rokokopavillon waren ihre Motorräder repariert worden. Die Gräfin hatte monatelang im Kavaliershaus kampieren müssen, und wenn ihr nicht ein Gentleman hin und wieder Corned beef hätte herüberbringen lassen durch seine Ordonnanz, dann hätte es schlimm ausgesehen.

    So war es zwar äußerst sauber in den leeren Räumen – prachtvoll breite Dielen auf den Fluren und kurios verlegtes Stabparkett, blank gebohnert -, aber sonst ziemlich dürftig alles: Zu Mittag saßen die Pädagogen auf angerosteten Stahlrohrsesseln, die mit Plastikbändern bespannt waren – Eintopf herrschte vor, weil die amtlichen Verpflegungssätze karg bemessen waren – und man schlief in alten Wehrmachtsbetten, zweistöckig, auf blaukariert bezogenen Matratzen, die Frauen im Ost-, die Männer im zugigen Westflügel.
    Zu den Lehrveranstaltungen und vor allem abends traf man sich im Kaminsaal, in dem ein alter, nicht mehr stimmbarer Steinway stand, auf dessen Tasten in der Stunde Null DPs herumgesprungen waren. Der Kamin funktionierte seit dreihundert Jahren, der tat noch immer seinen Dienst, und es war sogar Scheitholz vorhanden, dafür sorgte der Hausmeister.
    Unter dem Dach eines Seitenflügels wohnte tatsächlich eine Gräfin, Nachfahre des Schloßbesitzers. Mit ein paar alten Sachen hatte sie sich hierher zurückgezogen, nur selten sah man sie über den Hof schlurfen. Es war eine gute Idee gewesen, das Schloß mit allem Drum und Dran den Pädagogen zu vermieten, so war immer Leben im Gemäuer, und außerdem kam Geld herein, das man zur Reparatur des Westflügels dringend benötigte. Die Heizungsanlage pfiff aus dem letzten Loch.
    Manchmal verirrten sich Touristen in die Gegend, die rüttelten am Tor, sie wollten schließlich besichtigen das Dings, wenn’s schon im Baedeker steht? Was heißt hier«privat»? Wenn sie dann den Hausmeister sahen, sagten sie:« Das ist der Graf?»

    Etwa zwanzig Lehrer und Lehrerinnen waren zusammengekommen, einzelne ältere Herrschaften, noch aus der Vorkriegszeit herüberragend, Flamme empor!, und Frontgeneration, einarmig und mit Narben auf dem Rücken, sowie ein paar Studentinnen und Studenten von der Hochschule in Einbeck, die von nichts eine Ahnung hatten. (In den Nachtstunden gab es Gerenne auf den Fluren zwischen dem West-und dem Ostflügel hin und her und unterdrücktes Gejuchze, und gewisse Plätze an der Mittagstafel, nebeneinander, waren immer besetzt.) Eine Lehrerin aus dem Land Hadeln wurde rasch zum Star, weil sie so zauberhaft Blockflöte spielte, wozu sie morgens und abends animiert wurde. Was ist denn das für eine Krücke?, hatte manch einer gedacht, bevor sie noch ihre Flöte aus der Tasche gezogen hatte, und dann dieses zauberhafte, meisterliche Spiel? Ihren ganzen Lebenskummer legte sie in die Flötentriller, die sie einen aus dem anderen entwickelnd in höchste Höhen aus ihrem Löcherknüppel hervortrieb. So verliebt gewesen einmal, und nur unsagbarer Schnödigkeit teilhaftig

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