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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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geworden…

    Ein begeisterter Kasperspieler aus dem Harz, der selbst wie ein Kasper aussah, vier Jahre im Felde gestanden und keinen einzigen Schuß abgegeben, hatte seine Hohensteiner Puppen mitgebracht und eine zusammensteckbare Bühne; der sorgte für Stimmung, morgens und abends, auch wenn man ihn nicht dazu animierte, der nahm die Leute aufs Korn, die sich doppelte Portionen Frikadellen holten oder dauernd nicht da waren, weil sie dauernd telefonierten. – Seinen Kasper hatte er immer bei sich, und wenn ihm so war, unterhielt er sich mit ihm nach Art eines Bauchredners. Als weniger schön wurde es empfunden, daß er Damen von hinten mit seiner Handpuppe an den Hals puschelte. Es kam zu abrupten Reaktionen, wobei Stühle umkippten.«Nun lassen Sie das!« wurde gesagt.

    Abgesehen von den Studenten, die hier absolut kuschen mußten, weil sie eben wirklich keine Ahnung hatten vom wirklichen Leben, war auch anderes jüngeres Lehrervolk zugegen, Nachkriegsware, das sich gern auf Staatskosten amüsierte und sich aus diesem Grund zu jeder Fortbildungsveranstaltung meldete. Vierzehn Tage schulfrei, das war immerhin mitzunehmen, wenn man auch hinterher vor den Trümmern seines Lehrplans stand. Im Sommer war ein Grundkurs für Rettungsschwimmen auf Baltrum angesagt, da würde man natürlich auch hinfahren; wenn mal ein Kind ins Wasser fällt, und man steht dann hilflos daneben? Das kann doch niemand verantworten… Also Wiederbelebungsversuche machen, so etwas kann ja auch ganz reizvoll sein.
    Und im Herbst endlich mal eine Kur, obwohl noch kerngesund, alle drei Jahre würde man doch wohl eine Kur machen dürfen, Herrgott noch mal? Man opfert sich auf und wird von allen Seiten angemeiert? In der linken Schulter kündigte sich, wenn einen nicht alles täuschte, bereits Rheuma an? Da also mal thermalbaden, und dazu mußte man nun einmal in ein Bad fahren, Gott sei’s geklagt.

    Mit einer der jüngeren Lehrerinnen kam Matthias ins Gespräch, sie war aus Hahnewische angereist und trug im Schloß umgekrempelte Wollsocken und Klapperlatschen.«Wie beim BDM», dachte Matthias, und er richtete es so ein, daß er sie immer im Blick hatte. Ihr Mann – Konrektor einer Mittelpunktschule – sei so wahnsinnig eifersüchtig, sagte sie, und der käme sicher bald hier angerauscht, bei dem traue sie sich nicht zu piepsen. Matthias ließ von ihr die Finger, aber angucken und der Phantasie ihren Lauf lassen, das konnte man riskieren, das war schließlich nicht verboten.
    Hahnewische – diesen Ortsnamen kannte Matthias gut, die Welt ist ein Dorf. In Hahnewische saß seine Mutter und zählte ihre Tage. Irgendwann würde er sie besuchen müssen, das war nicht zu vermeiden.

    Der Kursleiter war oberschenkelamputiert, der ging die blank gebohnerten Treppen rasselnd und knarrend äußerst vorsichtig hinauf und hinunter, von den Studentinnen in Sprüngen überholt, ein lieber Mensch, der für alles Verständnis hatte. Seine immerfort ausgestoßene Klage, seine Generation wär’ feig gewesen in der Nazizeit, ging den Leuten etwas auf den Nerv – feig! feig! feig! -, aber wenn er so um die Ecke gekracht kam – woran auch das Parkett seinen Anteil hatte -, mit schwermütigem Blick aus den dunkelblauen Augen, die Brauen aufgezwirbelt, dann fühlte es wohl ein jeder: Dies ist kein gewöhnlicher«Steißtrommler», der gibt nicht den Sitzenbleibern vier Schläge im Quadrat, das ist ein Mensch, der sich aus schrecklichem Erleben heraus ein Gewissen um die Jugend macht.
    Abends sah man ihn Skat spielen, mit einem blonden Ostfriesen und dem Kasperspieler, und da konnte von«lieb»dann allerdings keine Rede mehr sein, da machte sich dann Fanatismus breit.«Vorne lang – hinten blank! »Einen richtigen Skatspielerhintern hatte er.

    Der Versuch des Kursleiters, den Tag mit Frühsport beginnen zu lassen, wurde mit dem Ruf:«Frisch, Fromms, fröhlich, frei!»erledigt. Gegen solche Ruppigkeiten kam der Mann nicht an, also unterblieb das, obwohl es ihm die Älteren im Vertrauen steckten, an sich möchten sie das ganz gern, Frühsport… (Man konnte ja nie wissen, ob der Mann nicht ein Gutachten abgeben würde an die Regierung, und da stände dann drin: Hat Einsatz gezeigt…)
    Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsre weit und breit…
    Frühsport wurde also abgesagt, statt dessen wurde ein Morgensingen anberaumt. Es war einer Art Morgenandacht nachempfunden, mit Tagesspruch und Lied sowie aktuellen Tages-Gedenk-Mitteilungen, die der

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