Heile Welt
konnte denn wissen, ob er nicht tatsächlich einmal sein Konto überziehen müßte? Sechshundert Mark im Monat, das war nicht gerade üppig.
Sehr praktisch war die Sache mit dem Sparvertrag, zu dem die Regierung die Hälfte zuzahlte. Na, da buchte man doch gleich zwei Stück. Ach was, drei! Rief den Kassenleiter noch mal zurück, als er bereits gegangen war, und fragte, ob er das richtig verstanden hat, daß die Regierung die Hälfte zuzahlt, und ob er nicht noch einen buchen kann?
«Geht nicht!»rief der Beamte und winkte mit der Aktentasche.
«Nur drei sind statthaft!»
Wenn er allein dasaß, kam auch Carla mal ums Haus,«darf man stören», und brachte ihm die Milch und manchmal auch eine halbe Wurst, weiche Mettwurst mit Kümmel drin. Wenn sie kam, nahm Matthias die Füße vom Tisch und den Hut ab. Ein Buch hingegen nahm er in die Hand, Finger zwischen die Seiten, daß er hier liest, sollte das bedeuten, so ist das ja nicht, daß er nichts zu tun hat.
Einmal setzte er ihr den Hut auf. Sie wurde zwar nicht gerade rot, aber daß sie Gummistiefel anhatte, ärgerte sie denn doch. Matthias stellte sich vor, daß löcherige Strümpfe zum Vorschein kämen, wenn sie die Stiefel auszöge, eine heiße Geschichte stellte er sich vor.
Sie nahm den Hut nicht ab, sondern stand auf und spiegelte sich in den Fensterscheiben der Schule, schob den Hut in den Nacken und in die Stirn, so wie sie es im Kino gesehen haben mochte: im Nacken – so sah es am besten aus.
«Daß Sie mir bloß die Zöpfe nicht abschneiden», sagte er.
«Warum nicht?»fragte sie, und darauf konnte er so recht nicht antworten.
Als sie gegangen war, nahm Matthias den Hut wieder an sich und roch daran.
«Ellinor is’n Aas», hatte sie gesagt,«wissen Sie das eigentlich?»
Einmal zeigte Carla ihm eine Ansichtskarte von Lehrer Schmauch,«Deutsche Lande, der Bodensee». Lesen durfte Matthias die Karte nicht.
Warum bin ich nicht an den Bodensee gegangen?, fragte er sich. Aber das wäre schwierig gewesen, die machten da unten ein anderes Examen. Und außerdem: katholisch? Waren die nicht katholisch da unten?
Er nahm sein Notizbuch vom Tisch und schrieb hinein:«Bodensee? »
19
E ines Abends kam Bauer Fitschen mit Frau und Anita, der Tochter, von nebenan zu ihm in den Garten, sie wollten ihm ihren«Besäuk»machen.«Stör’n wir Ihnen hier noch…»
Jetzt hätte Matthias seine Stoppuhr brauchen können. Mann, Frau und Tochter, alle massig, alle wortkarg. Sie blieben endlos, und Matthias saß in tausend Ängsten, er konnte diesen Leuten ja absolut nichts anbieten! Gastfreundschaft? Ein Brot mit Marmelade oder einen Schluck Milch? Er hatte ja noch nicht einmal einen Stuhl für sie!
Solange es ging, blieb er daher mit ihnen in der Laube sitzen, obwohl es gerade jetzt mal wieder penetrant nach gerösteten Brötchen roch.«Das ist die Abdeckerei in Eistedt», sagte Fitschen,«die lassen da ab und zu mal Dampf ab…»
Er blickte hinüber in den Nachbarsgarten, auf das Vogelscheuchenkreuz im Kirschbaum, das würde dort wohl noch zwanzig Jahre hängen… Der Blick der Nachbarsleute hingegen schweifte über die Beete des Schulgartens: Das war ja ein ziemliches Durcheinander, und die Wege überhaupt nicht geharkt? Das hatte Frau Schmauch aber besser im Griff gehabt… Da könnte Anita doch ein bißchen für Ordnung sorgen? Jede Woche ein paar Stunden? Der Blick des Vaters ruhte wohlwollend auf ihr, und die Mutter stand schon mal auf und riß ein Büschel Franzosenkraut aus, das unter dem Rittersporn stand.
Dem Opa im Aussichtsfenster wurde zugewunken, er soll das lassen, da rausgucken!
O ja, sagte Anita, das würde ihr wohl Spaß machen. Ein paar aufgekratzte Pickel hatte sie im Gesicht, und das Haar, obzwar gekräuselt, stand ihr nach beiden Seiten ab, Gartenarbeit hat ihr schon immer Spaß gemacht. – Die Stimme des Mädchens kam Matthias bekannt vor -«ierst fåt ick di hierhenn, un dann fåt ick di dorhen…», und er hütete sich zu lachen.
Nun mal eben in die Klasse hinübergehen. Matthias schloß ihnen das Schulhaus auf: Die schweren Bauersleute schoben hinein, mit schwerem Schritt, bloß keine Bewegung zuviel…
Die korpulente Tochter wartete, bis ihre Eltern im Klassenzimmer standen, und drängte sich an Matthias vorbei durch die Tür. Sie hatte sich parfümiert, Matthias blähte die Nasenflügel.
Sie suchte ihren Platz auf der Bank, wo sie acht Jahre lang gesessen hatte, und versuchte vergeblich, sich hineinzuzwängen. Und dann
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