Heile Welt
erzählte sie, daß Schmauch sich mal während der Schulzeit mit einem Versicherungsvertreter in die Küche gesetzt hätte und da einen gehoben und die Schüler mit Stillarbeit beschäftigt, und da sei plötzlich der Schulrat aufgetaucht.«Habt ihr denn keinen Lehrer?»
Ja, überhaupt: Schmauch, ein netter Mensch, aber eben sehr dem Schnapse zugetan. Aber man soll nicht schlecht über andere Menschen reden, sagte Fitschen. Was wird nicht alles erzählt! Von seinem Vater zum Beispiel, immer allen geholfen, als Ortsbauernführer, auch nicht immer so einfach, Freedes Frau zum Beispiel, immer mit den Franzosen zu Gange, und das war doch stramm verboten! immer wieder zu ihr gesagt:«Laß das, laß das…»Aber nein!
Auf den Bundesjugendspielen hatte Schmauch einen Tisch mit Buddeln arrangiert, für die Lehrer zur Erfrischung und damit sie sich stärken können, wenn sie die Punkte ausrechnen, das wußte Fitschen zu erzählen, und die Sache von der Volltrunkenheit, daß die Schüler ihn aus dem Straßengraben aufgesammelt hätten.
Auch der Bauer hatte seine Kindheit in dieser Schule abgesessen, aber davon wollte er jetzt nichts wissen. Er blieb vor dem Bilderrahmen mit den«Helden»stehen und tippte auf sein Bild, bei der bespannten Artillerie war er gewesen, weil er sich mit Pferden auskannte. EK II und Kriegsverdienstkreuz. Er wollte Matthias wohl zeigen, daß er auch nicht so ohne wär’. Mütze hingehalten, wenn die Pferde ins frische Stroh äppelten!
Außerdem gab Fitschen Erklärungen ab über die anderen Kameraden, die da abgebildet waren, mal mit Stahlhelm, mal ohne, nach links blickend oder nach rechts. Einer in Zivil, das war ein Flüchtling gewesen, 1946 hierhergekommen und vor zwei Jahren hier gestorben; der gehörte ja jetzt auch dazu, der war ja auch Soldat gewesen.
Von zwei der Kriegsteilnehmer gab es überhaupt kein Bild, von denen kündeten nur zwei weiße Felder.
Jochen Freede, der Bruder von Carla, war ganz offensichtlich blond gewesen, blonder ging’s nicht. Das war sonderbar, sie schwarz und der Bruder blond? Kam das aus heiterem Himmel? Wer konnte wissen, wo sich das hergemendelt hatte.
Ja, die Nazizeit. Da würde’ne Menge erzählt, sagte der Bauer, man müsse auch nicht alles glauben, was darüber erzählt wird…
Es half nichts, es mußte die Wohnung vorgezeigt werden, obwohl er sich noch nicht richtig installiert hatte, wie Matthias immer wieder sagte.
Aber schließlich zeigte er ihnen dann doch«sein Reich», die leere Schulwohnung, matt erhellt von Glühbirnen, die unter der Decke hingen. Ein Glück nur, daß er die Kegelkugeln in die leere Schlafkammer geschichtet hatte.
Der Stirb-und-werde-Stuhl am Fenster kam den Leuten bekannt vor. Sie sahen es wohl, daß er aus der Klasse stammte, aber sie sagten nichts.
Als Matthias seinen Besuch von einem leeren Zimmer ins andere führte, wurde ihm bewußt, wie dürftig alles war. Die Tapete eingerissen, die Fußbodenbretter mit Farbe beschmiert. Wasserflecken an der Decke.
«Ja, aber Sonne den ganzen Tag», sagte Matthias, der trotz allem stolz war auf seine drei Zimmer plus Dachkammer, auch wenn im Keller Wasser stand.
Es wunderte die Leute, daß er hier so kümmerlich lebt. War denn die Wohnung vor seinem Dienstantritt nicht renoviert worden? Das wär doch Usus? Vielleicht hatte der Bürgermeister gedacht: Der haut ja doch gleich wieder ab? Hatte gar drauf spekuliert?
Der Bürgermeister wär’ auch so ein Kapitel, der sei durch Intrigen an den Posten gekommen, der ließ nur Feldwege pflastern, an denen die Äcker seiner Freunde liegen, und all so was, alles andere könne verrotten.
Im Krieg wegen irgendeiner dunklen Sache vier Monate im Knast, und nach dem Krieg dann eine Entschädigung, wegen«politisch». Das Enkelkind, Helga, sei übrigens unehelich, das habe die Schwiegertochter mit in die Ehe gebracht.
Auch über Bauer Freede wurden Andeutungen gemacht, die liefen aber in eine andere Richtung. Die Frau nicht zum Arzt geschickt, aus Geiz, obwohl die dauernd gehustet hat. Und dann natürlich Blut gespuckt und dot. Wenn der die Carla nicht hätte, säh’s schlecht aus, ein nettes, ord’liches Mädchen, ein Rätsel, warum die noch immer keinen Mann hatte.
Daß die Wohnung so leer war, erstaunte die Leute. Sowenig Möbel? Bloß einen alten Stuhl und einen morschen Tisch? Und ein paar Bücher auf dem Fußboden? Der Schrank, das wär’ ja ein gewaltiger Koffer, sie hätten auch so einen Apparat gehabt – neulich den
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