Heile Welt
Schönes.«As’ne Schneck», sagte Freede zu seiner Tochter; seit dem Krieg hatte er das Dorf nicht mehr verlassen, nicht ein einziges Mal.
Kamerad Bentwitsch nahm Matthias beim Arm und deutete auf die kleine Marianne:«Inzucht, nicht?»Ob alle Schüler in seiner Schule solche Deppen wären?
«Das is wohl’n hartes Brot hier?»
Und halblaut fragte er, ob Matthias hier denn auch was zum Pimpern habe, in diesem Kaff, die Schwarze da am Zaun mit den Zöpfen, die wär’ doch ganz appetitlich, ob die sich pimpern lasse? In diesem Kaff möchte er nicht mal tot überm Zaun liegen.
Ob er die Wohnung möbliert gemietet hätte?, wurde Matthias gefragt, als er die Familie durch das Haus führte. Diese Menschen konnten nicht glauben, daß Matthias sich in derartig altmodischen Möbeln wohlfühlte. Bei ihnen zu Haus, in Wuppertal, werde so was auf die Straße gestellt! Dieses Umbausofa zum Beispiel. Und eine Standuhr mit Blümchen?
Matthias guckte auf die Armbanduhr: Halb Zwölf war es, und es war ungewiß, wie lange diese Leute bleiben würden – du meine Güte, da war guter Rat teuer. Der Sonntag schwebte ab.
Die Tür vom Eckschrank«hänge»ja, darauf wurde Matthias aufmerksam gemacht, die hänge windschief in den Angeln. Matthias öffnete die Tür und zeigte, daß dieser Eckschrank voll schöner Sachen war, die allerdings Geschmacksache waren, alte Puppen, ein handgeschnitztes Pferd, irdenes Geschirr und ein ramponierter Glaskrug, der möglicherweise den Plünderungszug der Franzosen anno 1812. miterlebt hatte.
Nachdem die gängigsten Erinnerungen ausgetauscht worden waren, Ereignisse, die sich allesamt irgendwie ganz anders zugetragen hatten oder sogar überhaupt nicht, immer so halb rübergedolmetscht zu der Frau, die sich mit den Umbauschränkchen am Sofa beschäftigte, die kleinen Türen öffnete und schloß, auf – zu, auf – zu, weil die Spektralfarben des Prismenschliffs so hübsch über die Zimmerdecke huschten… Warum da gar nichts drin ist?, wollte sie wissen, und sie mochte an Cocktailgläser denken, wie sie jetzt in Mode waren.
Der Kamerad stellte die Frage, ob sie kapiert, daß dies hier leibhaftig Matthias ist, von dem so oft die Rede war, all die komischen Geschichten, die im Grunde ja aber furchtbar traurig waren. Zusammengehalten wie Pech und Schwefel! Jede Kippe geteilt! Was das bedeutet, daß man einen Menschen kennt, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann!
Er drängte sich an Matthias heran und lief hinter ihm her, in die Veranda und ins Klo, wo der ja eigentlich was anderes vorhatte, und in die Küche: Daß kein Saft vorhanden war, wußte Matthias, auch ohne daß er danach suchte, aber er mußte das seinem Kameraden demonstrieren, er öffnete also die Tür zur Speisekammer exhibitionistisch und zeigte auf die leeren Regale. Und da kam’s, der Kamerad deklamierte ein Gedicht in die Gegend, zwischen Klo und Flur, direkt unter der Ehrentafel des ZweitenWeltkrieges:
Das bunte Licht, das in die Kirche fällt
ist bunt für den nur, der’s für Buntes hält…
Ob er sich noch an dieses Gedicht erinnere? Ja, Matthias erinnerte sich, und es gab da noch was anderes, das er noch nicht vergessen hatte.
Zwei Stuben, Küche, Klo – die Schlafkammer wurde nicht geöffnet, da lagen die Kegelkugeln, das würde dem Kameraden aus Wuppertal schwer zu erklären sein, eine Sammlung von Kegelkugeln? Wozu denn das?
Eine große Sache war die Besichtigung des Klassenraums! Der Geruch schon allein, das Fußbodenöl, oder handelte es sich dabei um Lysol gegen ansteckende Krankheiten? An den Geruch erinnerte man sich ja noch von vor dem Krieg. War denn hier die Zeit stehengeblieben? Von der Küche aus direkt in die Klasse gelangen? Das war patent!«Datt is ja praktüsch», sagte Frau Bentwitsch, da könne man ja zwischendurch immer mal rauswitschen und’ne Tasse Kaffee trinken… Und dann wollte sie wissen, ob der Pfingstkranz das ganze Jahr über an der Decke hängt oder ob der auch mal ausgetauscht wird? Weshalb nicht mal ein lustiges Mobile aus Papierflugzeugen und Vögeln? Das wippt denn so, wenn man Tür und Fenster öffnet.
Der Sammelrahmen«Unsere Helden»wurde eingehend betrachtet: Was die für komische Mützen aufhaben, diese Kerle, und der da, der sieht ja eigentlich ganz vernünftig aus. Es war der Bruder von Carla, sehr blond!, das fiel Matthias erst jetzt auf. Der Bruder blond und die Schwester schwarz? Wo sich das wohl hergemendelt hatte!
Die Kinder knallten auf dem Klavier herum
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