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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nötig, daß man ihn sah.

    In der Schule konnte er dann den Nachsitzer befreien, der immer noch in der Klasse saß. Total vergessen den Jungen. Eine böse Miene machen, damit er denkt, das hat seine Ordnung?
    Und dann ging er schnellstens zu seinen Kugeln und zählte sie: Es waren zweiunddreißig Stück, also eintausendsechshundert Mark!, vorausgesetzt allerdings, man würde sie verkaufen können. Also, gleich morgen losfahren und weitere Kugeln besorgen, retten, was zu retten ist!
    Und dann nahm er seine Posaune und blies einen schönen Choral, in B-Dur, das ging ganz gut.
    Von Gott will ich nicht lassen, denn er läßt nicht von mir…
    Ohne Kreuze das Dings, also problemlos in jeder Beziehung.

24

    A m nächsten Sonntag, als Matthias aus der Kirche kam, im Fahrradanhänger einen etwas angesengten, raffiniert gedrechselten Altländer Stuhl, den er sich vom Müllplatz geholt hatte, und nichtsahnend auf den Hof der Schule einbog, stand ein Caravan vor dem Schulhaus! Kamerad Bentwitsch hatte ernst gemacht mit seiner Ankündigung und war auf dem Weg nach Cuxhaven ausgeschert, um seiner Frau und seinen beiden Kindern einen alten Kameraden vorzustellen, mit dem er – ja, war es nicht gar ein ganzes Jahr? – zusammen in einer Zelle gesessen hatte, zwar nicht grade bei Wasser und Brot, aber ganz schön belemmert… Bentwitsch wartete schon eine ganze Stunde auf Matthias, er ging auf und ab, er begriff es nicht, wo sein Kamerad steckte. Illegal geraucht und jede Schnitte Brot geteilt?
    In die Fenster hatte er hineingeguckt, vorn und hinten, ob nicht doch jemand zu Hause ist, aber da war niemand, und schließlich hatte ihm Carla vom Zaun aus die Auskunft gegeben, daß Matthias«in de Karken is!».

    So war die Situation, als Matthias um die Ecke kam: Er sah das Auto stehen, und es sah so aus, als ob das Gefährt eine Panne hätte, ein Mann geht da auf und ab, und die Frau sitzt in der geöffneten Tür? Leute stehen um sie herum? Vielleicht handelte es sich gar um einen Unfall?
    Schon bald dämmerte es ihm, daß das sein Kamerad Theo aus Wuppertal sein könnte, der ihm seinen Besuch ja schon in Aussicht gestellt hatte, Sparkassenbeamter und begeisterter Nordsee-Urlauber.
    Matthias begriff, daß sich hier etwas anbahnte und daß sein schöner Sonntag baden gehen würde. Er winkte den Leuten zu, gegen die im Grunde nichts einzuwenden war, und fuhr mit Schwung in den Hof, um erst mal den Stuhl abzuladen. Er stellte ihn in den Stall zu anderen Einzelstücken, die alle ihre Geschichte hatten. Schränke, die Truhen, eine Kirchenbank und das Scheffelmaß. Dann ging er durch das Haus hindurch nach vorn und ließ die Schneppglocke schneppen und begrüßte seinen Kameraden, mit dem er – ja, sag mal, war es tatsächlich ein ganzes Jahr? – in ei nem Raum hatte leben müssen, jede Kippe geteilt!
    Der Kamerad hatte noch immer das leere Grinsen im Gesicht und das etwas Ratlose, was Matthias schon damals geärgert hatte. Stand in der Zelle am Pinkelkübel und fragte sich: Soll ich oder soll ich nicht? Wie hätte sich das auch in der Zwischenzeit ändern sollen? – Das Haar hatte er jetzt allerdings quer über den kahler gewordenen Schädel gelegt.

    Die Frau – Waltraud mit Namen – saß in der Tür des Wagens und rauchte, sie war für eine Sparkassenbeamtenfrau unerwartet fesch, einen breiten Gürtel trug sie um die Taille. Sie war zornesrot: Offenbar hatte sie ihrem Mann gerade heftige Vorwürfe gemacht: Zuerst die endlose Fahrt, in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, und nun das endlose Warten in dem Kaff hier. Weiß der Himmel, wann sie jetzt in Cuxhaven ankämen, zu Mittag schafften sie es jedenfalls nicht mehr, denn dies hier dauerte gewiß eine Ewigkeit.
    Der Mann ging um Fassung ringend auf und ab, die Frau rauchte, und die Kinder machten auf Hühner Jagd – so was kannten sie nicht: Hühner? -, und es waren die Hühner von Bauer Fitschen nebenan, der Matthias die schönen Möbel besorgt hatte und den Teppich, der, weiß Gott, mehr wert war als die Möbel: schwarz und grün… Gewiß legten sie nun ich weiß nicht wieviel Eier weniger. Es war eine Begrüßungszeremonie fällig, und sie wurde russisch vorgenommen, wenn auch ohne Männerküsse, also: links/rechts, links/rechts dem andern über die Schulter gucken.

    Auch Marianne mit ihrer Katze im Arm stand am Zaun, den kleinsten Bruder an der Hand, und guckte zu, wie die beiden Männer sich da umarmen, und: ein Auto, in dem man wohnen kann? Das war doch mal was

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