Heile Welt
Nazizeit, als Nachbarn von Fitschen? Der alte Fitschen’n ziemlicher Nazi, aber unterm Strich ein guter Kerl. Der war mal abends ans Haus gekommen und hatte gewarnt: Sie sollten nicht so laut sprechen, wenn einer am Fenster lauscht, kann er jedes Wort verstehen…
Sie überquerten die Eische mehrmals, auf dem Geestrücken eine Reihe Pappeln – schwarzbunte Kühe gleichmäßig verteilt und über den ganzen Himmel Kumuluswolken, nach unten platt, nach oben immer weiter aufquellend. Irgendwie grandios. Die Gegend, durch die sie fuhren, blieb sich ziemlich gleich, Birken, schnurgrade Stichgräben, und in jedem Dorf ein Kriegerdenkmal, mit Bank davor, Sparkasse und Fahrradgeschäft. Dies war früher einmal alles Moor gewesen, die Chaussee alle paar Jahre erneuert, weil sie immerfort wegsackte.
Ellinor fuhr flott, das Zelluloidpüppchen am Rückspiegel pendelte hin und her.«Hat sie denn Wurschtfinger?»dachte Matthias, und leider hatte er sein Portemonnaie vergessen, das nagte an ihm.
Unterwegs machten sie vor einem Künstlerhaus halt. Man sah es an einer Sonnenuhr unter Weinranken, daß es ein Künstlerhaus war, und an der Verwahrlosung, die über dem Grundstück lag. Um das Haus herum ein verunkrauteter Garten. Ein Pfau marschierte auf und ab, und Zwerghühner liefen herum, mit komischen Federbüscheln an den Beinen. Ellinor ging hinein, sie trug einen grauen Hosenrock, das sah Matthias jetzt, und er mußte sehr lange warten. Er stieg schließlich aus und sah den Stichgraben entlang, in der Ferne ein stillgelegtes Windrad, und immer noch quollen die Kumulusse.
Endlich kam Ellinor mit der Künstlerin heraus. Es handelte sich um eine robuste Frau mit Kraftarmband, die sich mit Glasschmelzen befaßte. Sie beherrsche das Glasfärben jetzt absolut, sagte sie zu Matthias, könne dem Glas im Fluß jede Farbe geben, die sie wünsche, für Kirchenfenster wär’ das geeignet. Leider bestellten die Pastoren ihre Kirchenfenster im Ausland statt bei ihr, obwohl sie als einzige Glasschmelzerin Deutschlands es verstehe, sämtliche Farbtöne zu erzeugen.
Aus einem Abfallhaufen suchte sie farbige Scherben heraus und schenkte sie Matthias. Und Matthias dachte, wenn ich jemals eine Kirche baue, werde ich bei dieser Frau die Fenster bestellen. Ellinor holte eine Mappe mit Bildern aus dem Gepäckraum. Eindringliches Geflüster bei der Übergabe. Ja, sie legt das sicher fort, sagte die Glaskünstlerin, darauf kann sie sich verlassen, sie hat schon eine Idee.
Nun ging es weiter, und Ellinor erzählte, daß die Frau sehr herrisch sei, schon den dritten Gehilfen weggegrault, und die hielten natürlich nicht dicht und machten selber Glasschmelzereien auf, da wär’s kein Wunder, daß sie keine Aufträge kriegt. Sie war’ so gar nicht ein bißchen verbindlich. So wär’s eben auch mit den Kirchenleuten, sie stoße alle vor den Kopf. Wenn die Pastoren blaue Fenster haben wollten, sage sie: Ach, was! rote! Eine grantige Frau, aber treu und verläßlich.
In Angertorf gab es ein reguläres Cafe, da saßen sie dann unter einem Kallroy-Bild. Nackte, grüngefärbte Jünglinge an einem Boot. Das wär’ eigentlich nur eine Leihgabe gewesen, sagte Ellinor, aber das wisse heute kein Mensch mehr, darüber gäb es keinerlei Unterlagen. Ihr Vater wär’ in diesen Dingen ein richtiger Idiot gewesen… Überall Bilder hingeschenkt, und sie könnt’ jetzt sehen, wo sie bleibt.
Es wär so unsagbar gemein, sagte sie, daß der neue Wirt keinerlei Anstalten machte, das Bild zu bezahlen. Und: Er tue so, als kenne er sie überhaupt nicht… Der habe ja auch die alten Kallroy-Stühle zerhacken lassen, mit den geschnitzten Stirb-und-werde-Blumen drauf, die hier früher standen, und statt dessen dünne Plastikdinger angeschafft. Jetzt ärgere er sich darüber, denn die alten Stühle hätten einen beachtlichen Wert gehabt, fünfhundert Mark pro Stück, aber sperrig, und das hatte auch wohl den Ausschlag gegeben, sie abzuschaffen, mordsschwer und sperrig.
Ellinor ließ sich die Glasscherben zeigen, drei paßten zusammen, die vierte war übrig, die konnte weggeschmissen werden. Ob er ihr die Scherben mal mitgibt?, fragte Ellinor. Sie kann die kleben, das ist so ein schönes Blau, es wäre schade, wenn die verrotteten. Matthias hatte eigentlich auch vorgehabt, sie zu kleben, er hätte es auch schade gefunden, wenn die verrotteten, und er hatte auch schon überlegt, daß er sie aufhängen würde vor sein Fenster, morgens, wenn das Licht dann da so
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