Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
Wissenschaftlern der Universität Köln. [102] An der Studie der Versorgungsforscher und Kardiologen nahmen mehr als 1100 Arztpraxen im Rheinland und in Sachsen teil. Die Hausärzte mussten fünf Fragen beantworten, wie sie Patienten mit Herzschwäche, Bluthochdruck und einer Verengung der Herzkranzgefäße behandeln würden. Wurden zwei Drittel der 15 Fragen richtig beantwortet – inklusive dreier »Kardinalfragen« zur richtigen Definition des Bluthochdrucks, der angemessenen Diagnostik bei Herzschwäche und der optimalen Therapie bei verengten Kranzgefäßen –, galt die Kenntnis der Leitlinien als gut und angemessen.
Dieses Ziel erreichten nur 40 Prozent der Ärzte. Besonders frappierend waren die Unterschiede zwischen den verschiedenen Krankheiten. Mit der Koronaren Herzkrankheit (KHK), wie verengte Kranzgefäße medizinisch bezeichnet werden, kannten sich immerhin 74 Prozent der Ärzte aus. Beim Bluthochdruck wussten jedoch nur elf Prozent über die optimale Therapie Bescheid, bei der Herzschwäche waren es lediglich 24 Prozent.
Aus vielen Untersuchungen ist bekannt, dass Patienten mit Herz-Kreislauf-Leiden nicht immer die beste Diagnostik und Therapie bekommen. Wenn Ärzte sich besser fortbilden und Leitlinien befolgen, kommt das den Kranken hingegen zugute. Zumindest in einer Stichprobe dieser Studie war es für die Patienten jedoch nicht von Nachteil, wenn die Ärzte nicht genau wussten, was in den Empfehlungen ihrer Fachgesellschaften steht. Die Forscher verglichen das Wohlergehen der Kranken in 15 Praxen, in denen die Ärzte schlecht in den Befragungen abgeschnitten hatten, mit Kranken in 15 anderen Praxen, deren Inhaber die Leitlinien besonders gut kannten. Ein Unterschied war, wie die Autoren verwundert bemerken, kaum festzustellen: Etliche Ärzte machten offenbar trotz mangelnder theoretischer Kenntnisse in ihrer Behandlungsroutine vieles richtig. Dennoch sollten Patienten mit Herz-Kreislauf-Leiden in Deutschland noch besser medizinisch betreut werden. Dazu müssen Ärzte nicht nur wissen, was wirkt und hilft, sondern es auch umsetzen.
Die Macht der Mietmäuler
Ein Fußballverein meldet einen hohen Sieg von 5:0. Der andere berichtet von einem 3:1 für die eigene Mannschaft. Das Problem daran: Beide Clubs sprechen vom selben Spiel. Diesen Vergleich wählt der Arzt David Klemperer von der Hochschule Regensburg, um die Manipulation von Medikamentenstudien zu beschreiben, wenn die Pharmaindustrie beteiligt ist. »Marketing geht vor Evidenz, Umsatz vor Sicherheit«, sagt Klemperer. »Und alle großen Pharmafirmen sind beteiligt.« Klemperers Fußballanalogie ist keineswegs übertrieben: Als die Firma Lilly ihr Psychopharmakon Olanzapin in fünf Studien mit dem Konkurrenzprodukt Risperidon verglich, ging es 5:0 für Olanzapin aus. Die vier Studien der Firma Janssen ergaben hingegen ein 3:1 für das hauseigene Risperidon.
Ein deutsches Ärzteteam hat untersucht, auf welche Weise und in welchem Umfang Studiendaten verzerrt und zurechtgebogen werden, wenn die Pharmaindustrie die Studien finanziert. [104] Betroffen sind potentiell alle Arzneimittelgruppen; jeder kann geschädigt werden. Als Extremfall gilt der Vioxx-Skandal. Das Schmerzmittel von Merck & Co führte zu mehr als 160000 Herzinfarkten und Schlaganfällen, bis es 2004 vom Markt genommen wurde. Intern war das Gefährdungspotential früh bekannt. »Durch manipulative Auswertung und selektive Weitergabe von Daten hat der Hersteller der Öffentlichkeit das Wissen um die Schädlichkeit vorenthalten«, sagt Klemperer.
Wissenschaftler um Wolf-Dieter Ludwig, den Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, beschreiben die Tricks der Manipulateure: Statt neue Mittel mit etablierten Konkurrenzprodukten zu vergleichen, werden sie Scheinpräparaten gegenübergestellt, denen sie natürlich überlegen sind. Treten in Tests bei höherer Dosierung mehr Nebenwirkungen auf, wird für die Studie eine niedrigere Dosis gewählt, auch wenn in der Praxis die höhere empfohlen wird. Zeigt sich, dass ein Präparat bei längerem Gebrauch zu mehr Nebenwirkungen führt, wird das Ende der Studie vorverlegt.
Fallen die Resultate schlecht aus, werden sie oft gar nicht publiziert, dabei wären gerade Daten über Misserfolge wichtig, um Patienten zu schützen und sie nicht nutzlosen oder gar gefährlichen Behandlungen auszusetzen. Eine weitere beliebte Technik: Ghostwriter verzerren die Interpretation der Daten zugunsten eines Präparats.
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