Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
nachweisen, dass ihr Gerät funktioniert, aber nicht, dass es den Patienten etwas nutzt. Entscheidend für den Herzschrittmacher ist bei der Zulassung beispielsweise, dass er keinen Kurzschluss verursacht und nicht rostet. Ob die Rhythmusstörung dadurch gelindert wird, ist hingegen unbedeutend, um das Gerät auf den Markt zu bringen. Dafür reicht ein CE-Siegel; die Buchstaben stehen für Communauté Européenne, also die EU. Das europäische Kennzeichen kann im Ausland erworben werden und sagt nichts über die Güte und den Nutzen des Produkts und seine möglichen Vor- und Nachteile für Patienten aus.
In der Zulassung von Arzneimitteln gibt es zwar auch etliche Schwachstellen, doch in den vergangenen Jahrzehnten hat sich viel getan: Erst wenn in drei Studienabschnitten Verträglichkeit, Dosis und Wirksamkeit eines neuen Mittels getestet worden sind, darf es auf den Markt. Der Nutzennachweis gegenüber herkömmlichen Therapien steht dann zwar oft noch aus, und gelegentlich kommt es trotzdem zu Arzneimittelskandalen, aber wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit ist gewährleistet.
Für Medizinprodukte gibt es hingegen nichts Vergleichbares, entsprechend grotesk sind die Verfehlungen. Drei Beispiele von Dutzenden: Defekte und wegen der Freisetzung gefährlicher Metall-Ionen umstrittene Hüftprothesen müssen tausendfach erneuert werden. Ein von deutschen Unikliniken gefeiertes Verfahren, bei dem Gefäßstützen Hirnarterien offen halten und so Patienten vor einem Schlaganfall bewahren sollen, führt zum Gegenteil, zu dreimal so vielen Hirnschlägen wie in der konventionell behandelten Gruppe. Die Versteifung der Wirbelsäule mit Zement, die bei Osteoporose vor Brüchen schützen soll, zieht mehr Frakturen nach sich, weil der schwere Zement Knochen erst recht zusammensacken und dann bersten lässt.
Das Problem wird ignoriert oder verharmlost. Ein staatliches Zulassungs- und Kontrollverfahren für Medizinprodukte gibt es schließlich nicht und ist politisch wie von der Krankenhauslobby auch nicht gewollt. Gesundheitsminister Bahr, der sein Haus – wie Vorgänger Rösler – als Wirtschafts- und nicht als Gesundheitsministerium führt, hat daran kein Interesse. Eine strengere Kontrolle von Medizinprodukten hielt er auch nach dem Implantateskandal für unnötig. Das ist Klientelpolitik auf Kosten der Patienten – die als Höhepunkt der Infamie für die Reparatur des Schadens auch noch selbst aufkommen sollten. So können Kranke künftig vor der Behandlung mit Medizinprodukten nur an der Blume zupfen und abzählen: Es hilft mir. Es hilft mir nicht …
Neue Medikamente – der Vergleich fehlt
Die Menschen werden immer älter, und das liegt daran, dass die Medizin ständig Fortschritte macht. Immer bessere Medikamente und Therapiemöglichkeiten ermöglichen zumindest vielen Menschen in den wohlhabenden Ländern ein gesundes und langes Leben. Und wenn sie nicht gestorben sind …
Hier endet die Märchenstunde. Es stimmt zwar, dass die Menschen immer älter werden, aber das wird hauptsächlich auf bessere Ernährung und gesündere Lebensführung zurückgeführt. Auch ist richtig, dass permanent neue Arzneimittel auf den Markt kommen. Einen Nutzen haben die Patienten davon aber längst nicht immer. Häufig sind neue Pharmaka nur teurer, weniger sicher und führen zu mehr Nebenwirkungen als die seit Jahren bewährten Präparate. Eine Analyse von Mitarbeitern der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zeigte, wie wenig über Medikamente bekannt ist, wenn sie zugelassen werden. [116] Das Team um Ursula Gundert-Remy hat untersucht, welche Daten zur Markteinführung vorlagen. Vorteile gegenüber der bisherigen Therapie, bessere Verträglichkeit oder ein anderweitiger Zusatznutzen wurden kaum belegt. Nur in 28 Prozent der Fälle wurde überhaupt geprüft, ob das neue Mittel der bisherigen Standardbehandlung überlegen war. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde die Wirkung hingegen nur mit einem Scheinmedikament verglichen.
»Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass neue Mittel den bereits auf dem Markt befindlichen Alternativen unterlegen sind«, so Gundert-Remy. »Das Zulassungsverfahren erfordert ja nicht, dass direkte Vergleichsdaten zu einem Arzneimittel vorliegen.« Das wäre allerdings sinnvoll, denn über potentiell schädliche Wirkungen der neuen Mittel wissen Ärzte wie Pharmakologen weniger als über Risiken altbekannter Substanzen. Erfahrungen mit durchschnittlich nur
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