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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bartens
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die wichtigen Ergebnisse veröffentlicht, die sich auf Diagnostik und Therapie auswirken. In deutschsprachigen Medizinjournalen wird keine bedeutende Neuigkeit veröffentlicht. Viele sind von Pharmafirmen dominiert, die ihre Anzeigenbelegung davon abhängig machen, dass Artikel nicht kritisch ausfallen. In deutschsprachigen Zeitschriften veröffentlichen Ärzte, was sie in internationalen Fachblättern nicht loswerden, oder sie wiederholen alte Daten, neu verpackt. »Deutschland produziert kaum relevante Studien, 99 Prozent der wichtigen Ergebnisse stammen aus anderen Ländern, wie man an wichtigen Fragen wie der Hormontherapie in den Wechseljahren sieht«, sagt Gerd Antes. »Der wissenschaftliche Zeitschriftenmarkt in Deutschland ist tot, da die Journale nur noch Zweitverwerter sind.«
    Ärzte sind leicht reizbar, und schön ist diese Zahl wirklich nicht. Man kann sie aber den Patienten zuliebe nicht aussparen: 80 Prozent der Ärzte in Deutschland lesen keine englischsprachige Fachzeitschrift. Viele können es nicht, weil sie die Sprache nicht beherrschen, andere wollen es nicht – das Ergebnis ist gleich: Ärzte in Deutschland haben es schwer, auf dem aktuellen Stand zu sein. Sie verlassen sich auf lokale Meinungsführer, die oft im Sold der Pharmaindustrie stehen und einseitige Wahrheiten verkünden. Das ist leider keine Verschwörungstheorie, denn 90 Prozent der Ärztefortbildungen in Deutschland werden von der Pharmaindustrie unterstützt.
    Jedes Jahr wird ein Punktwert berechnet, der anzeigt, wie eine Zeitschrift im Meer der etwa 20000 medizinischen Fachblätter weltweit wahrgenommen wird. Die englischsprachigen Top-Magazine kommen auf Werte zwischen 15 und 35 und stehen an der Spitze. Deutschsprachige Journale wie die »Deutsche Medizinische Wochenschrift« oder die »Münchner Medizinische Wochenschrift« dümpeln bei Werten zwischen 0,4 und 0,8 herum – oder werden gar nicht gelistet. Das heißt, sie werden in der internationalen Fachwelt schlicht nicht wahrgenommen oder gar zitiert.
    Während es das »Deutsche Ärzteblatt« durch hartnäckige Arbeit ihres wissenschaftlichen Leiters immerhin geschafft hat, auf die Liste zu kommen (wo es hintere Plätze belegt), gehören die Zeitschriften der britischen und amerikanischen Ärzteverbände – das »British Medical Journal« und das »JAMA« – zu den weltweit führenden Journalen. Die Ärzte, die bei ihrer deutschsprachigen Lektüre bleiben, stört das offenbar nicht.
    Wissenschaftlicher Analphabetismus ist eine Gefahr, weil Ärzte dann nicht einschätzen können, mit welchen Risiken eine neue Therapie einhergeht, weil Ärzte dann nicht vermitteln können, dass ein medizinischer Test eben nicht immer hundertprozentig sichere Ergebnisse liefert, weil Ärzte dann nicht erklären können, wie oft Nebenwirkungen bei der Behandlung auftreten, die sie gerade bei einem Patienten beginnen wollen. Es gibt allerdings Hoffnung. Kanadische und britische Ärzte haben zu Beginn der 1990er Jahre die Evidenzbasierte Medizin (EbM) begründet. EbM bedeutet, die besten wissenschaftlichen Beweise für die Patientenbetreuung zu nutzen. Evidenz statt Eminenz. Dann kann der Chefarzt nicht mehr sagen, das haben wir schon immer so gemacht, weil ihm jeder medizinische Anfänger nach ein paar Minuten Recherche entgegenhalten kann, welche Therapie als überholt gilt.
    Mit dieser Methode wurden Glaubenssätze spektakulär widerlegt. 1996 zeigten Ärzte, dass Patienten, denen die Gallenblase entfernt wurde, ähnlich lang zur Erholung brauchen – egal, ob der Eingriff offen oder endoskopisch (»Schlüsselloch-Chirurgie«) erfolgte. [98]   Zuvor hatten Laien wie Ärzte vermutet, der minimal invasive Eingriff sei schonender. Die Studie entlarvte den Mythos. Weder Kranke noch Pfleger, noch Ärzte wussten, welcher Patient wie operiert worden war – beide Gruppen bekamen ähnlich blutige Verbände.
    Natürlich sollten Ärzte weiterhin erspüren und erfragen, was Patienten tatsächlich bedrückt. Natürlich müssen Ärzte versuchen, ein therapeutisches Bündnis mit den Patienten einzugehen, damit die Behandlung Erfolg hat. Dazu gehört aber auch zu erkennen, wie groß Nutzen und Gefahren für Patienten sind. Gerd Gigerenzer sagt es deutlich: Ohne Zahlen zu verstehen, sind Laien wie Ärzte »Manipulationen ihrer Ängste und Hoffnungen durch Politik und Wirtschaft ausgeliefert«. Das ist nicht nur gefährlich, es untergräbt auch das Ideal vom aufgeklärten Patienten – in

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