Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
doppelter Hinsicht.
Der Arzt als Pharmareferent
Sie heißen Meinungsbildner – oder Mietmäuler. Die Rede ist von Chefärzten, die für ein üppiges Honorar der Pharmaindustrie gute Dienste leisten. Aus Sicht der Arzneimittelhersteller selbst handelt es sich bei den Medizinern, die sie bezahlen, um Handelsvertreter, die allerdings besser entlohnt werden als die offiziellen Pharmareferenten, von denen es in Deutschland etwa 16000 gibt. Der australische Arzt Ray Moynihan von der Universität Newcastle hat gezeigt, wie Mediziner von den Arzneiherstellern angeworben werden. [99] Bebildert wurde der Beitrag mit einer Arztpuppe, die an Marionettenfäden hängt.
»Die Meinungsbildner waren für uns Verkäufer«, sagt beispielsweise Kimberley Elliott, die 18 Jahre lang für Pharmamultis wie Westwood Squibb, Smith-Kline-Beecham und Novartis im Marketing gearbeitet hat und dann ausgestiegen ist. »Wir haben immer geschaut, ob sich unsere Investition ausgezahlt hat, indem wir die Menge der Verschreibungen vor und nach den Auftritten der Ärzte registriert haben.«
In Firmen, in denen Elliott tätig war, begannen Arzthonorare für eine Abendveranstaltung bei 1600 Euro. Manchmal wurden aber auch 3000 Euro für die Redner gezahlt. Die Dias und Powerpointpräsentationen stellte das Pharmaunternehmen direkt zur Verfügung, die Ärzte mussten sich nicht darum kümmern. Zumeist werden darauf Botschaften vermittelt, die von seriöser Forschung nicht gedeckt werden oder die wissenschaftliche Ergebnisse verzerren. »Diese Leute bekommen eine Menge Geld dafür, um das zu erzählen, was sie erzählen«, sagt Elliott. »Das heißt nicht, dass sie schlecht sind oder alles falsch ist, was sie sagen, aber sie sind Pharmareferenten wie die anderen.«
Noch immer denken viele Ärzte, dass es sie nicht in ihrer Arbeit beeinflusst, wenn sie von Pharmafirmen Einladungen, Geschenke oder Geld bekommen oder wenn »nur« ihre Forschung unterstützt wird. Dabei ist in Dutzenden Untersuchungen gezeigt worden, dass die Werbe- und Marketingausgaben der Arzneimittelhersteller gewinnbringend angelegt sind: Ärzte verschreiben Medikamente einer Firma häufiger als ähnlich gute Vergleichspräparate, wenn sie zuvor mit Aufmerksamkeiten bedacht wurden. Ärzte schleusen Patienten häufiger in Studien zu einem neuen Medikament ein, wenn sie für jeden Kranken ein Zusatzhonorar bekommen. Studien, die mit Hilfe von Pharmafirmen finanziert werden, kommen öfter zu positiven Ergebnissen für das Präparat des Herstellers als unabhängige Untersuchungen.
Ärzte können sich diesen Einflüssen gar nicht entziehen, selbst wenn sie es wollten. Zu den größten amerikanischen Fachkongressen, die weltweit für die jeweilige Disziplin maßgeblich sind, kommen mittlerweile zwischen 20000 und 30000 Besucher. Dort würden lediglich ein paar hundert Doktoren auftauchen, wenn nur jene kämen, die Reise und Unterkunft komplett aus eigener Tasche bezahlt haben. »Es ist peinlich und obszön für alle Beteiligten und eine Perversion des Fortbildungsgedankens, dass Ärzte in ihrer Karriere weiterkommen, wenn sie auf industriegesponserten Veranstaltungen einer industriegesponserten medizinischen Fachvereinigung einem industriegesponserten Redner zuhören«, sagt Moynihan. Eine gesunde Beziehung zwischen Ärzten und Arzneimittelherstellern könne es nur geben »ohne den korrumpierenden Einfluss der Milliarden, die jährlich die Medizin von der Pharmaindustrie annimmt«. Versuche einer unabhängigen Medizin kommen nur sehr zaghaft voran. Die nach Vorbild der Kampagne »No free Lunch« in Deutschland begründete Initiative »Mein Essen zahl’ ich selbst« (mezis.de) hat bisher nur etwas mehr als 100 zahlende Mitglieder.
»Die Firmen bezahlen Chefärzte, um mit ihrer Hilfe die Marketingstrategien zu erarbeiten – und um die Mediziner bei Tagungen und Konferenzen präsentieren und sprechen zu lassen«, sagt Richard Tiner vom Vorstand der Britischen Pharmazeutischen Industrie. Obwohl hohe Preise üblich sind, stecken nicht alle Ärzte das Geld in die eigene Tasche. »Manche lassen es ihrer Forschungsabteilung zugutekommen oder spenden das Geld für wohltätige Zwecke«, sagt Moynihan.
Üblich ist es auch, dass Ärzte 100 bis 150 Euro für jeden Patienten bekommen, den sie für eine sogenannte Anwendungsstudie gewinnen. So heißen die – methodisch meist unzureichenden – Studien der Pharmafirmen, die zeigen sollen, dass bereits zugelassene Arzneien in der Praxis so
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