Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
Meinungsbildner, die Honorare von den Firmen bekommen, tragen die einseitigen Ergebnisse auf pharmafinanzierten Fortbildungen an Haus-, Fach- und Klinikärzte weiter. Der Branchenspott nennt sie »Mietmäuler«.
Ludwig kritisiert, dass mit frisierten Studien ethische Prinzipien verletzt würden: Klinische Forschung wird ja nur betrieben, »wenn Ärzte unsicher sind, welche Therapiealternative für Patienten von größerem Nutzen ist«. Hält die Pharmaindustrie Daten zurück oder verdreht sie, geraten Patienten in Gefahr, Ärzte werden getäuscht. Abhilfe würde eine verbindliche öffentliche Registrierung aller Studien vor Beginn schaffen, wie sie Studienexperte Gerd Antes seit Jahren fordert. Dann könnte nachgehakt werden, was aus einer Untersuchung geworden ist, Misserfolge ließen sich schwerer verschleiern. »Nicht schaden muss auch für die pharmazeutische Industrie oberstes Gebot werden«, fordert Klemperer.
Antidepressiva – die halbe Wahrheit
Die Schlussfolgerung des Fachartikels könnte kaum vernichtender ausfallen. »Reboxetin ist insgesamt ein ineffektives und potentiell schädliches Antidepressivum«, lautet das Urteil von Dirk Eyding und Beate Wieseler. [105] Die deutschen Ärzte haben sorgfältig die Daten analysiert und sind im Jahr 2010 zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen. Im Vergleich zu anderen Antidepressiva wie auch zu Placebos zeigt sich, dass der Wirkstoff Reboxetin, der unter den Namen Edronax und Solvex im Handel ist, nicht besser gegen Depressionen hilft als Scheinmedikamente. Allerdings klagten Patienten über erheblich mehr Nebenwirkungen.
Brisant ist das Ergebnis deshalb, weil das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Jahr 2009 den Nutzen von Reboxetin bewerten sollte. Eine sinnvolle Analyse der Arzneien gegen die Schwermut war nach Angaben der Prüfer allerdings nicht möglich, denn sie erhielten von Hersteller Pfizer nur einen Bruchteil der vorhandenen Daten. Recherchen des Instituts ergaben, dass zwar mindestens 16 Studien mit insgesamt 4600 Patienten für das Medikament existierten, laut IQWiG stellte Pfizer aber nur sechs Untersuchungen vollständig zur Verfügung. Die Behandlung von 1600 Patienten ist publiziert. Von weiteren 3000 Patienten waren die Ergebnisse nicht zugänglich – zwei Drittel der Daten wurden zurückgehalten. »Irreführung durch Verschweigen ist kein Kavaliersdelikt. Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht auch die Teilnehmer«, empörte sich Peter Sawicki, damals noch Chef des Prüfinstituts, das Ende 2009 keinen Nutzen des Mittels entdecken konnte. »Durch das Verschweigen von Daten nimmt der Hersteller Patienten wie Ärzten die Möglichkeit, sich informiert zwischen verschiedenen Therapien zu entscheiden.«
Das IQWIG, das Gutachten für das Gesundheitsministerium und den Gemeinsamen Bundesausschuss dazu erstellt, welche Therapien und Diagnosemethoden sinnvoll sind und von den Kassen erstattet werden sollten, beurteilt daher den Nutzen für das in Deutschland seit 1997 zugelassene Reboxetin im Jahr 2009 als »nicht belegt«. Seitdem wird das Medikament nicht mehr von den Krankenkassen erstattet. In den USA wurde die Zulassung wegen negativer Ergebnisse von vornherein verweigert. Nach dem IQWiG-Bericht entschloss sich der Hersteller zur Kooperation und stellte zehn – bisher nicht publizierte – Studien zur Verfügung, die dann die Grundlage für die negative Bewertung bildeten.
Selektiv nur die Studien zu veröffentlichen, die positive Ergebnisse liefern, ist eine der häufigsten und tückischsten Fehlerquellen in der Medizin. Die Wirkung von Therapien und Diagnostik wird dadurch überschätzt – im Fall Reboxetin gravierend. Es ist zu befürchten, dass Patienten nutzlose oder gar gefährliche Behandlungen erhalten, wenn nur die Ergebnisse veröffentlicht werden, die Firmen oder anderen Auftraggebern passen. Nicht nur die Industrie, sondern auch unabhängige Forscher neigen dazu, nicht zu publizieren, was ihnen nicht gefällt – zum Schaden der Patienten und Beitragszahler.
Pfizer wies die Vorwürfe des IQWiG, gegen Patienteninteressen verstoßen zu haben, »scharf zurück« und konnte die »überzogenen Ausführungen« nicht nachvollziehen. »Wir haben dem IQWIG ausreichend Daten zur Verfügung gestellt«, sagte Unternehmenssprecher Martin Fensch. »Und zwar diejenigen Daten, die sich aus unserer Sicht für eine Nutzenbewertung eignen.« Eine Verpflichtung, für das Institut
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