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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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konnte dabei ihr Gegenüber auch nicht direkt sehen) und der menschliche Dialogpartner nicht unterscheiden konnte, ob er sich mit Mensch oder Maschine unterhielt, dann galt die Maschine als ebenso intelligent wie ein Mensch. Dieser spitzfindige und geniale Test rechnete allerdings nicht mit der Beschränktheit der meisten Menschen. Am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts war es so weit, dass zahlreiche Computer – insbesondere aus der Klasse der neuralen Netzwerke, die als ›Denker‹ bekannt wurden – bei solchen Dialogen einen Großteil der Menschen und selbst Experten hinters Licht führen konnten. Es gab nur einen einzigen Experten, der den Schleier jedesmal lüftete und die beschränkten Maschinen dahinter ausfindig machte: Roger Atkins von der Universität Stanford.
    Jill überlebte Atkins und wurde zum Prototyp aller künftigen Denker. Inzwischen konnte selbst ein zum Export bestimmter Denker wie Alice der alten Jill einiges vormachen – bis auf einen entscheidenden Punkt: Jill hatte einen wesentlichen Teil ihres Wissens durch Erfahrung erworben. Sie war einhundertachtundzwanzig Jahre alt.
    Wir zahlten für die Breitbandverbindung zwischen Alice und Jill, erklärten uns mit dem Verschlüsselungsschema einverstanden und gingen zu Bett.
    Trotz der Bichemie war mein Schlaf auf der Erde fast immer ein schwerer Schlaf. Die Erde zerrte an den Muskeln und Organen des Marsianers, und dieser Druck konnte nicht beseitigt, sondern nur gedämpft werden. Während ich mich im Wachzustand ganz wohl fühlte, hatte ich während des Schlafens oft das Gefühl zu ertrinken. Ich wurde unter Wasser gedrückt. Zuerst war das Wasser seicht, dann strömte es in Flutwellen an phantastischen, Elfenbeinburgen vorbei, die sich auf rubinroten Inseln erhoben.
    Ich war gerade dabei, die innere Wendeltreppe eines Turms hochzusteigen (vielmehr glitt ich hinauf), als Bithras mich grob wachrüttelte. Instinktiv zog ich die Bettdecke hoch, da ich das Schlimmste befürchtete. Mit weit aufgerissenen Augen ließ er mich los, als sei er zutiefst verletzt. »Ich mach das nicht zum Spaß, Casseia«, sagte er. »Wir haben ein ernstes Problem. Alice hat mich geweckt. Sie hat mit Jill geredet.«
    In Bademänteln saßen Allen, Bithras und ich im Wohnzimmer und umklammerten Becher mit heißem Tee. Die Projektion von Alice saß zwischen Bithras und Allen steif auf der Couch und hatte die Hände auf dem Knie gefaltet. Mit ruhiger, bedächtiger Stimme beschrieb sie ihre Begegnung mit Jill. Allen gab schweigend Notizen in sein Kom ein.
    »Das Treffen verlief sehr ungewöhnlich«, begann Alice. »Jill hat mir erlaubt, für eine gewisse Zeit ihre Stelle einzunehmen und wesentliche Aspekte ihrer Erfahrungen abzuspeichern. Als Gegenleistung habe ich ihr meine eigenen Erfahrungen überlassen. Wir haben unsere fünf Minuten aufgeteilt: Zuerst haben wir uns auf der Tiefenebene in der Denkersprache miteinander verständigt. Dann haben wir Erfahrungen ausgetauscht und uns gegenseitig diagnostiziert. Denn wir wollten herausfinden, ob in unseren neuralen Systemen irgendwelche Viren aufgetreten sein könnten.«
    »Du hast Jill erlaubt, deine Systeme zu analysieren?«, fragte Allen besorgt und sah von seinem Kom auf.
    »Ja.«
    »Erzähl ihnen, was sie gefunden hat«, forderte Bithras Alice auf.
    »Das ist in gewisser Weise geheim«, sagte Alice. »Jill könnte Schwierigkeiten haben, wenn man ihr auf die Schliche kommt.«
    »Wir versprechen dir, nichts weiterzusagen«, versicherte Bithras. »Casseia? Allen?«
    Wir gelobten Geheimhaltung.
    »Jill betrachtet alle Denker als Familienangehörige. Sie fühlt sich wie eine Mutter für uns verantwortlich. Wenn sich Denker mit ihr unterhalten, macht sie eine Analyse, füttert ihren eigenen Erfahrungs- und Wissensspeicher und prüft, ob wir richtig funktionieren.«
    Mir fiel auf, dass Alice etwas zurückhielt. Sie wollte nicht zur Sache kommen.
    »Sag’s uns, Alice«, machte Bithras ihr Mut.
    »Mir ist das, was Jill in mir entdeckt hat, immer noch überaus peinlich. Ich bin sicher, dass ich meinen Pflichten auch weiterhin nachkommen kann. Aber es könnte durchaus Veranlassung dazu geben, meine Arbeit letztendlich in Zweifel zu ziehen …«
    Bithras schüttelte ungeduldig den Kopf. »Jill hat Evolvons festgestellt«, sagte er.
    »Bei Alice ?«, fragte Allen und legte das Kom hin.
    Ich sog scharf die Luft ein. »Welcher Art?«, fragte ich.
    Alices Bild erstarrte, flimmerte und erlosch. Ihre Stimme war noch da. »Ich ändere

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