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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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keinen Zweifel daran, dass ich bei einem längeren Aufenthalt auf der Erde bei jedem zu Hause willkommen sein würde. Es war so, als wären wir schon lebenslang Freunde, Liebende – es gab einfach kein passendes Wort dafür. Wir standen uns näher als Ehepartner. Wir hatten uns in einer Gruppensimulation miteinander vereinigt.
    Auf der Straße trafen Kite und ich wieder auf Shrug und Orianna. Die Wirklichkeit kam uns angesichts unserer jüngsten Erlebnisse blass und grau vor. Ein leichter Nieselregen milderte die Nachtluft. Orianna schien besorgt. »War das okay?«, fragte sie. »Mir ist leider erst zu spät eingefallen, dass es dir vielleicht zu viel werden könnte …«
    »Es war interessant«, antwortete ich.
    »Man nennt das Freundschafts-Sims. Sie sind brandneu«, sagte Kite. »Kommen jetzt groß in Mode. Mehr Leute als je zuvor beteiligen sich an Sims. Für diese Sims bestehen Urheberrechte. Aber ich bin mir sicher, dass auch einige größere Denker daran beteiligt sind.«
    Shrug sah benommen aus. Er ging in Schlangenlinien und grinste uns über die Schulter zu. »Ist gar nicht so ohne, sich wieder an die Wirklichkeit zu gewöhnen.«
    »Das war wirklich nett«, sagte Kite und legte einen Arm um mich. »Keine Eifersucht, nur Freundschaft und Zuneigung – und keine Angst, bis auf die Angst vor den bösen Chakras.« Ich sah zu Kite hoch. Wir hatten uns nicht geliebt – nicht im körperlichen Sinne –, aber ich fühlte mich ihm außerordentlich nah, näher, als ich Charles je gekommen war. Und das beunruhigte mich.
    »Ich glaube, ich hab noch nie solche Angst gehabt«, bemerkte Shrug.
    »Wirklich sozial«, meinte Orianna. »Jeder lernt jeden kennen. Könnte die ganze Erde miteinander verbinden, wenn man’s auf die Spitze treibt.«
    Jaja, dachte ich. Das könnte wirklich so kommen. »Ich muss mich ausruhen«, sagte ich. »Und zurück nach Washington.«
    »Der Tag mit dir war wunderschön«, stellte Orianna fest. »Du bist eine gute Partnerin, eine gute Freundin und …«
    Ich unterbrach sie, indem ich sie fest umarmte. »Das reicht«, sagte ich lächelnd. »Sonst durchlöcherst du meine marsianische Abwehr.«
    »Wir wollen doch nicht, dass deine Reserviertheit ein Leck bekommt«, bemerkte Shrug, der mit verschränkten Armen abseits stand und mit den Fingern auf die Ellbogen trommelte.
    »Wir gehen zur Penn Station. Von dort aus kannst du den Zug nach D.C. nehmen.«
    Wir sprachen nur wenig, während wir uns, vorbei an Werbeflächen, durch die Menge drängten. Der Glanz des Zirkus Geist verblasste. Orianna wurde traurig und wirkte etwas abwesend. Als wir uns dem Bahnhofsgebäude näherten, drehte sie sich zu mir um: »Ich wollte dir so viel zeigen, Casseia. Du musst die Erde kennenlernen. Das ist jetzt Teil deiner Arbeit.« Sie sprach fast streng mit mir.
    »Du hast recht.« Ich war inzwischen richtig verlegen und reagierte damit vermutlich auf die unverhoffte Intimität, die wir im Zirkus genossen hatten. Die marsianische Reserviertheit hatte tatsächlich ein Leck bekommen.
    »Ich würde dich gern wiedersehen. Meinst du, du kannst es zeitlich einrichten?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich ehrlich. »Falls ja, rufe ich dich an.«
    »Tu das. Lass das Sim nicht überschatten, was wir zusammen erlebt haben.« Bei ihren Worten, die meine Gedanken wiedergaben, zuckte ich zusammen. Manchmal war Oriannas Intuition mir unheimlich.
    »Danke«, sagte Kite und küsste mich. Ich hielt mich bei dem Kuss zurück. Vielleicht war es angesichts der Situation nicht ganz angemessen, wenn die Erde den Mars küsste.
    Ich ging auf den Bahnsteig. Sie blieben zurück und winkten – ein Abschied, so alt wie die Zeit.
    Vier Stunden später saß ich in meinem Zimmer und sah auf Arlington, die Wabengebäude, den Potomac und das entfernte Einkaufszentrum hinunter. Bithras hatte die Suite verlassen. Allen war noch nicht aus Nepal zurück. Alice war ins Breitbandnetz vertieft und suchte nach irgendeiner Sache für Bithras, ich wollte sie nicht stören. Ich konzentrierte mich auf das Washington Monument, das wie eine uralte Rakete aus Stein aussah, und versuchte den Kopf ruhig zu halten. Ich wollte den wichtigsten inneren Stimmen lauschen.
    Der Mars besaß nichts, mit dem er die Erde hätte bedrohen können. Wir waren der Erde in jeder Hinsicht unterlegen. Wir waren jünger und längst nicht so einig wie die Erde. Unsere Stärke lag in unserer Schwäche – in der Meinungsvielfalt, in der blöden Reserviertheit, die sich als

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