Heimat Mars: Roman (German Edition)
machte einen ganz anderen Eindruck als Ylla oder sonst eine Siedlung auf dem Mars, die ich kannte. Zur BG Erzul hatten sich im Jahre 2130 arme amerikanische Familien spanischer Abstammung, Bürger Hispaniolas und asiatische Familien von der Erde zusammengetan. Um das Geld für die Passagen zum Mars aufzubringen, hatten sie schließlich auch Polynesier und Philippinos in ihre Reihen aufgenommen.
Nach ihrer Ankunft auf dem Mars nisteten sie sich in einer Fertigkuppel im Westen, im Schatten des Olympus-Gebirges ein. Innerhalb von fünf Marsjahren verbanden sie sich mit sieben weiteren BGs. Darunter waren auch die Rabinowitschs, die ursprünglich aus Russland stammten. Die BG Erzul blühte rasch auf. Sie war klein, unabhängig, erfolgreich in Bergbau und Bodenvermessung tätig und wurde allgemein geachtet. Stets erfüllte sie ihre Verträge. Inzwischen besaß sie Schürfrechte für neunzig Parzellen in vier Bezirken. Sie war zwar immer noch klein, aber tüchtig und wegen ihrer Vertrauenswürdigkeit und freundlichen Art hoch angesehen.
Als ich in Olympus ankam, nahm ich mir ein Gästezimmer (so viel Freiheit ließ mir Ilya: als Ausweg für den Fall, dass ich mich mit seiner Familie nicht verstand) und besichtigte zunächst das Museum der BG. Es bestand aus einer langweiligen Sammlung alter Bohr- und Ausgrabungsgerätschaften. Belebt wurde die Ausstellung nur durch große Wandgemälde, die Mythen aus Polynesien und Hispaniola darstellten. Ilya musste kurz weg und ließ mich vor einem Portrait von Pele zurück. Pele, die kleine Mutter der Vulkane, war als leidenschaftliche, aber auch leicht hinterhältig blickende Frau von beträchtlicher Schönheit dargestellt.
Nach wenigen Minuten kehrte Ilya zurück. Eine Frau von enormem Körperumfang begleitete ihn, sie war größer als Ilya und doppelt so breit.
»Casseia, ich möchte dich mit unserer Rechtsvertreterin und Vorsitzenden Ti Sandra bekannt machen.«
Ti Sandra musterte mich mit leicht gefurchter Stirn und vorgeschobener Unterlippe. Sie war eine Frau mit starkem Knochenbau und von eindrucksvoller Größe, bestimmt war sie zwei Meter groß. Außerdem besaß sie ein wunderbar breites Lächeln, tiefliegende, warm blickende Augen und eine weiche Altstimme. Ti Sandra Erzul bewegte sich mit der Grazie einer Königin. Mit ihrem dunklen Teint, dem dicken schwarzen Haar, das ihren Kopf wie ein Heiligenschein umgab, ihrem festen, freundlichen Gesicht und den auffallenden, ausdrucksvollen Gesichtszügen hätte sie gut eine Amazonenkönigin in einer Fantasy-Simulation abgeben können … Aber ihre lockere Art und ihre mädchenhafte Begeisterung für grelle Farben zerstreuten schnell alle Ängste, die ihre körperliche Präsenz hervorrufen mochte. »Leiten Sie eine Bank?«, wollte sie wissen.
»Nein!«, erklärte ich lachend.
»Gut. Ich glaube nämlich nicht, dass Ilya mit einer Frau, die in Bankgeschäften tätig ist, zurecht käme. Er würde sie ständig um Forschungsgelder anbetteln.« Sie lächelte strahlend, so dass ihre tiefliegenden warmen Augen fast hinter Fältchen verschwanden, und zog aus der Tasche in Ilyas Hand einen Blumenkranz. Sie breitete ihre großen starken Arme weit aus und sagte: »Sie sind hier stets willkommen. Sie haben einen solch hübschen Namen. Und Ilya hat gute Menschenkenntnis. Er ist für mich wie ein Sohn, obwohl wir im Alter gar nicht so weit auseinander sind, nur fünf Jahre, wissen Sie!«
An diesem Abend gab es bei Ti Sandra ein Festessen, zu dem zwanzig Familienmitglieder erschienen. Ich lernte Ti Sandras Ehemann kennen, Paul Crossley, einen ruhigen, besonnenen Mann, der zehn Jahre älter als sie war. Paul war nicht größer als Ilya. Ti Sandra überragte ihren Mann, aber nur in körperlicher Hinsicht. Sie flirteten wie zwei frisch Verheiratete.
Ich fand die Munterkeit und Lockerheit bei dieser Zusammenkunft zauberhaft. Sie schwatzten in Spanisch, Französisch, Kreolisch, Russisch, Tagalog, Hawaiianisch und – mir zuliebe – Englisch durcheinander. Ihre Neugier war, was mich betraf, unermesslich.
»Warum sprechen Sie kein Hindi?«, wollte Kiqui Jordan-Erzul von mir wissen.
»Ich hab’s nie gelernt«, erwiderte ich. »Meine Familie spricht Englisch.«
»Alle?«
»Manche der älteren Familienmitglieder sprechen auch andere Sprachen. Meine Eltern haben nur Englisch gesprochen, als ich noch klein war.«
»Englisch ist eine Sprache, die einengt. Sie sollten mal Kreolisch sprechen. Reine Musik.«
»Aber nicht geeignet für die
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