Heimat Mars: Roman (German Edition)
das blöd?«
»Vielleicht waren wir beide schon vor Zeiten auf dem Mars«, erwiderte ich leichthin. (Der Anfang einer Beziehung hat mich immer schon fasziniert. Seltsamerweise schien ich dabei meist neben mir zu stehen, ließ alles an mich herankommen und fragte mich, wie weit das Paarungsritual wohl gedeihen würde). Ich hatte meine Signale losgeschickt und war auf Empfang eingestellt. Jetzt war er dran. »Vielleicht kannten wir uns schon vor einer Milliarde Jahren.«
Er lachte, ließ mich los und streckte sich. Wir lauschten dem Geplätscher des hinunterströmenden und zirkulierenden Wassers. Die Roboter beachteten uns gar nicht, sie rollten auf ihren Rampen entlang und überprüften Fluss und Reinheit des Wassers. Ilya schien ebenso locker wie ich, ungeheuer selbstsicher, ohne dass es arrogant wirkte.
»Du bist doch vor zwei Jahren zur Erde gereist, nicht?«
»Es ist gerade ein Jahr her.«
»Ich hab Erdenjahre gemeint.«
Er beschäftigte sich mit Fossilien und rechnete daher nicht in Marsjahren, sondern in Erdenjahren. Mir kam der sarkastische Gedanke, womöglich könne sich meine Geschichte wiederholen. »Ach so«, erwiderte ich.
»Wie war’s denn?«
»Anstrengend.«
»Ich würde liebend gern mal an einer Ausgrabung auf der Erde teilnehmen. In China und Australien finden sie immer noch bedeutende Fossilien.«
»Ich glaube nicht, dass ich in absehbarer Zeit noch mal zur Erde will.«
»Hat’s dir keinen Spaß gemacht?«
»Manches war sehr schön.«
»Pech in der Liebe?«, erkundigte er sich. Ich lachte. Sein Lächeln verschwand. Wie die meisten Männer mochte er es nicht, wenn man über ihn lachte.
»Entschuldige«, sagte ich. »Pech in der Politik.«
Sein Lächeln war gleich wieder da. »Ein armes kleines Mädchen, ganz allein im dunklen Wald?«
»Ein Embryo im wilden Dschungel«, gab ich bitter zurück.
Am folgenden Tag, dem dritten Tag des Festes, trafen wir uns wieder. Mit einem Kribbeln im Bauch steuerten wir fast unbewusst aufeinander zu. Er besorgte mir etwas zu essen, wir gingen durch Glasröhren zur Oberfläche und sahen auf Rubicon Valley hinab. Er machte einen vorsichtigen Vorstoß und stellte mir weitere Fragen.
Zum ersten Mal erzählte ich einem anderen Menschen in allen Einzelheiten, was ich persönlich für die Erde empfand und was dort geschehen war. Es tat mir die ganze Zeit über so weh, dass mir fast die Tränen gekommen wären – Tränen der nicht vernarbten Verletzung und Tränen der Erleichterung, weil ich jetzt endlich darüber reden konnte. Ich erzählte davon, wie verraten, ohnmächtig und naiv ich mir vorgekommen war. Ich erzählte aber auch von der überwältigenden Kultur der Erde.
Wir beendeten unseren Imbiss und zogen uns in ein Privatzimmer zurück. Ohne Worte, ohne bestimmte Absicht. Ilya führte mich. Ich sprach weiter und lehnte mich später gegen ihn. Er legte einen Arm um meine Schultern.
»Sie haben dich recht schäbig behandelt«, stellte er fest. »Das hast du nicht verdient.«
Natürlich war es genau das, was ich von ihm hören wollte. Aber er meinte es ganz und gar ehrlich. Und da er spürte, wozu ich bereit war und wozu nicht, bedrängte er mich nicht mehr, als ich wollte.
Für die Dauer des Verbindungsfestes hatte ich mir ein Gästezimmer in Rubicon City genommen. Ilya schlug vor, ich solle danach doch mit ihm zu seiner Familie fahren, der BG Erzul in Olympus. Dazu fehlte mir die Zeit. Ich hatte mir vorgenommen, früh aufzubrechen und nach Jiddah zurückzufahren, weil ich an einem Bericht über ein Majumdar-Projekt zu arbeiten hatte. Aber ich versprach, mich bald wieder mit ihm zu treffen. Ich wollte diese Beziehung nicht im Sande verlaufen lassen. Mein erster Eindruck von Ilya war klar und direkt: Er war der liebste, einfühlsamste und gradlinigste Mann, den ich je getroffen hatte. Ich wollte mich weiter mit ihm unterhalten, Stunden, Tage, Monate, Jahre. Unser Liebesspiel schien sich ganz einfach und natürlich aus unseren ausführlichen Gesprächen zu ergeben. Wir lagen nackt beieinander, schwitzten vor Erschöpfung, verflochten unsere Glieder locker miteinander, kicherten über Witze, hetzten über den Zustand der BGs und über den Rat, der vor der Erde einen Kniefall machte …
Wenn ich mit Ilya zusammen war, fühlte ich mich so ruhig und friedlich, so heil und ganz wie sonst nie. Hier war jemand, der mir dabei helfen konnte, mit mir selbst und dem Rest der Welt ins reine zu kommen. Hier war ein Gefährte.
Olympus, der Sitz der BG Erzul,
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