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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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eines besonders ergiebigen, flachen Trockentals ein Wellblechschuppen, der mit Plastikplanen verhängt war. Hier wurden Proben und Fundstücke gelagert.
    Einige Stunden nach unserer Ankunft machte mich Ilya im Schuppen mit einer zerbrochenen Kapsel bekannt: »Casseia, ich möchte dir Mutter vorstellen. Mutter, das ist Casseia. Mutter geht’s heute gar nicht gut.« Mutter war zwei Meter breit und wurde in dem Schuppen, in dem es keinen Druckausgleich gab, in einem stählernen Behälter aufbewahrt. Ilya ließ es zu, dass ich mit meinen behandschuhten Fingern über Mutters dunkle, steinerne Außenseite strich. Während er mit der Taschenlampe leuchtete, langte ich in ihr Inneres und spürte trotz der Handschuhe die gewölbten Schichten glitzernden Silikats und dazwischen die Schichten zinkhaltigen Lehms.
    »Sie waren die letzten«, sagte er. »Die Omega.«
    Niemand wusste, wie Kapseln ›aufblühten‹. Niemand kannte sich mit dieser rein anorganischen Struktur richtig aus. Allgemein wurde angenommen, dass die Kapseln früher einmal weiche Fortpflanzungsorgane enthalten hatten. Aber Überreste solcher Organe hatte man nie gefunden.
    In der vergeblichen Hoffnung, auf einen Hinweis zu stoßen, der den Wissenschaftlern womöglich entgangen war, sah ich mir das Innere der Kapsel genau an. »Ihr habt Nachkommen im Umfeld offener Kapseln und der Mütter selbst gefunden, aber keine Verbindungen im eigentlichen Sinn?«
    »Alles, was wir gefunden haben, war späte Omega-Brut«, antwortete Ilya. »Abgestorben, ehe ihre Ecos ausreifen konnte. Die Überreste sprachen für unsere Annahmen.«
    Einen Augenblick lang lauschte ich auf mein eigenes Atmen und die leisen Geräusche des Atemgeräts. »Habt ihr schon mal eine Aquäduktbrücke freigelegt?«
    »Während meines Studiums. Wunderschöne Dinger.«
    Wir traten aus dem Schuppen ins Freie. Der Himmel war fast klar. Ich war schon fast daran gewöhnt, mich an der Oberfläche zu bewegen. Die Oberfläche meiner Welt wurde mir immer vertrauter. Wie feindselig sie auch sein mochte: Ihre Vergangenheit und Gegenwart berührten mich tief. Ich sah sie durch Ilyas Augen. Und Ilya beurteilte den Mars nach ganz eigenen Maßstäben.
    »Welchen Teil der Erde würdest du gern besuchen?«, fragte ich.
    »Die Wüsten.«
    »Nicht die Regenwälder?«
    Hinter der Scheibe seines Helms grinste er. »An trockenen Orten findet man eher Fossilien.«
    Wir kletterten ins Labor, befreiten uns von den Schutzanzügen, saugten den Staub ab und aßen in der engen Küche eine Suppe. Kaum hatten wir sie ausgelöffelt, da schrillten aus unseren Koms und dem des Labors Alarmsignale. Die automatischen Notfallanzeigen flackerten vor uns auf. Die charakteristische Männerstimme des marsianischen Sicherheitsdienstes verkündete: »Ein Tiefdruck-Zyklon in Arcadia Planitia hat eine Welle von Stufe zehn erzeugt. Sie bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von achthundertdreißig Stundenkilometern in südwestliche Richtung. Wir empfehlen allen Stützpunkten und Stäben zwischen Alba Patera im Norden und Gordii Dorsum im Süden, sich auf den Notfall vorzubereiten.« Es folgte die graphische Darstellung der Welle, danach die vergrößerte Aufnahme eines Satellitenbildes, aufgenommen aus der niedrigen Umlaufbahn. Die Welle ähnelte dünnem, sich kräuselndem Holzkohlenrauch, wenn er sich über ein Gelände hinwegzieht. Die Zahlen waren beeindruckend: Die Welle war zweitausend Kilometer lang und hatte die Form eines riesigen Kreises. Vor ihr war die Atmosphäre klar, hinter ihr düster. Ein dunkler Druckwirbel bewegte sich an ihrer mittleren Achse entlang. Die Druckwelle hatte bereits ein Drittel Bar erreicht – fast das Fünfzigfache des Normalwerts.
    Druckwellen hatte man zuerst auf frühen Mars-Photographien der › Viking ‹ entdeckt, im zwanzigsten Jahrhundert. Sie waren das Schlimmste, was der Mars zu bieten hatte. Diese Hochdruckwellen, die durch Schockwellen von Überschallgeschwindigkeit ausgelöst wurden, waren dem Mars mit seiner dünnen Atmosphäre, den kalten Tagen und den noch kälteren Nächten vorbehalten. Hier konnten schon die Grenzen zwischen Tag und Nacht zur Wetterscheide werden. Anders als auf der Erde gab es hier keine Ozeane, die die Wärme langsam abgeben und zwischen Erde und Himmel vermitteln konnten … Bei Einbruch der Nacht kühlte der Boden schnell aus, und die dünne Luft über dem Boden sank drastisch ab, um sich bei Tagesanbruch erneut zu erwärmen und rasch aufzusteigen. Meistens waren die

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