Heimat Mars: Roman (German Edition)
wissenschaftliche Arbeit«, warf Ilya ein. »Dafür ist Russisch am besten.«
Kiqui rümpfte die Nase. Ein anderer ›Gräber‹, Oleg Schowinski, sagte, er halte Deutsch für die beste Wissenschaftssprache.
»Deutsch!« Kiqui verzog schon wieder das Gesicht. »Gut für Metaphysik. Aber doch nicht für die Wissenschaft!«
»Welche Art Tee braut ihr in Ylla?«, fragte Kiquis Frau Therèse.
Ti Sandra war allgemein beliebt. Junge wie Alte sahen sie als Matriarchin an, obwohl sie noch nicht einmal zwanzig Marsjahre alt war. Nach dem Essen ging sie mit einer riesigen Obstschale um den Tisch, bot jedem frische Früchte als Nachtisch an und baute sich dann vor der Gruppe auf. »Also gut. Stellt mal alle euer Bier ab und hört zu.«
»Eine Heirat. Eine Heirat!«, kreischten einige.
»Haltet die Klappe. Ihr habt keine Manieren. Ich freue mich sehr, dass ich euch eine Freundin von Ilya vorstellen darf. Ihr habt euch schon mit ihr unterhalten, habt sie mit eurem ›Savoir vivre‹ beeindruckt, und sie hat mich beeindruckt. Und ich freue mich sehr, dass ich hier ankündigen kann: Sie wird unseren Kleinen, der nach nutzlosen Dingen gräbt, heiraten!«
Ilya wurde vor Verlegenheit rot.
Ti Sandra hob die Hände, um die wild durcheinander rufende Menge zu beschwichtigen. »Sie ist von der BG Majumdar, aber sie hat nichts mit Bankgeschäften zu tun. Also seid lieb zu ihr, und bettelt bei ihr nicht um höhere Kredite.«
Noch mehr Jubel.
»Sie heißt Casseia. Steh auf, Cassie.« Ich stand auf, und jetzt war ich mit dem Rotwerden dran. Das Gebrüll hätte die Isolierung zum Einsturz bringen können.
Kiqui brachte einen Trinkspruch auf unsere Gesundheit aus und fragte, ob ich an Fossilien interessiert sei.
»Ich liebe sie«, antwortete ich, und das stimmte auch. Ich liebte sie, weil sie mit Ilya zu tun hatten.
»Das ist gut. Denn Ilya ist der einzige mir bekannte Mann, der Depressionen kriegt, wenn er eine Woche nicht gräbt«, sagte Kiqui. »Er ist genau der Helfer, den ich brauche.«
»Sie weiß noch nicht, ob sie wechselt oder nicht. Aber wir freuen uns – so oder so«, rief Ti Sandra.
»Eigentlich haben wir uns schon entschieden«, stellte Ilya fest.
»Und wie?«, rief die Menge wie aus einem Mund.
»Ich habe angeboten, mich der BG Majumdar anzuschließen«, antwortete Ilya.
»Sehr gut«, meinte Ti Sandra, aber ihre Miene sprach Bände.
»Allerdings hat Casseia mir gesagt, dass sie zum Wechseln bereit ist. Sie schließt sich der BG Erzul an.«
»Wenn ihr mich haben wollt«, ergänzte ich.
Noch mehr Hochrufe. Ti Sandra umarmte mich erneut. In ihrer Umarmung fühlte man sich wie in der Umklammerung eines großen weichen Baums mit stählernem Kern. »Eine neue Tochter«, freute sie sich. »Das ist wunderbar.«
Sie umringten Ilya und mich und wollten ihre Glückwünsche loswerden. Tanten, Onkel, Lehrer, Freunde, alle wollten uns gute Ratschläge geben und Anekdoten von Ilya erzählen. Ilyas Gesicht wurde röter und röter, während sich die Anekdoten überschlugen. »Bitte!«, protestierte er. »Wir haben noch gar keine Papiere unterzeichnet … Vertreibt sie bloß nicht mit euren Geschichten!«
Nach dem Nachtisch saßen wir im Kreis um einen großen Drehtisch herum und kosteten verschiedene Getränke und Liköre. Sie tranken mehr als alle Marsianer, die mir je begegnet waren, aber bewahrten ihre Würde und einen klaren Kopf.
Gegen Ende des Abends nahm mich Ti Sandra beiseite und sagte, sie wolle mir ihren kostbaren tropischen Garten zeigen. Der Garten war schön, aber sie hielt sich nicht lange mit der Führung auf.
»Ich weiß einiges über dich, Casseia. Was ich gehört habe, hat verdammt viel Eindruck auf mich gemacht. Wir sehen vielleicht nicht so aus, aber wir sind eine ehrgeizige kleine Familie, weißt du das?«
»Ilya hat’s angedeutet.«
»Einige von uns haben sich mit der Charta befasst und sich ihre Gedanken darüber gemacht. Du hast ja große Erfahrung in der Politik …«
»Nicht besonders viel. Staatslehre und Betriebswirtschaft … aus der Sicht einer einzelnen BG.«
»Ja, aber du bist auf der Erde gewesen. Wir haben mit dieser BG eine einzigartige Chance. Niemand hasst uns. Wir kommen überall herum, treffen alle und jeden, sind freundlich … Man vertraut uns sehr. Wir glauben, dass wir dem Mars etwas bieten können.«
»Das könnt ihr ganz bestimmt.«
»Wollen wir unser Gespräch später fortsetzen?« Sie zwinkerte mir zu, aber ihr Gesicht blieb ernst. Diesen Gesichtsausdruck sollte ich
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