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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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in den kommenden Monaten noch oft an ihr sehen. Ti Sandra hatte größere Pläne – und mehr Begabungen –, als ich mir damals hätte vorstellen können.
    Ilya und ich machten unsere Hochzeitsreise nach Cyane Sulci, das einige hundert Kilometer östlich von Lycus Sulci lag. Als Transportmittel benutzten wir Professor Jordan-Erzuls mobiles Labor, einen zehn Meter langen Zylinder, der auf sieben riesigen Federstahlrädern rollte. Der Innenraum war eng und staubig, hatte zwei herausklappbare Liegen, eine einfachst ausgestattete Nano-Küche, die nicht viel mehr als recycelte Teigspeisen hergab, und lediglich ein Waschbecken, in dem man sich mit einem Schwamm säubern konnte. Die Luft roch nach kaltem Essen und Staub, und wir mussten ständig niesen. Aber ich bin in meinem ganzen Leben nicht glücklicher und sorgloser gewesen.
    Wir lebten in den Tag hinein. Ich verbrachte Stunden um Stunden im Schutzanzug und begleitete meinen Mann über die Lavafelsen hinunter in tiefe Schluchten, in denen es Mutterkapseln geben mochte.
    Die Differenzierung hat auf dem Mars nie völlig unterschiedliche Lebensformen hervorgebracht. In der Regel waren die genotypischen Baupläne ähnlich. Die Geschöpfe hatten unterschiedliche Gestalt, aber einen gemeinsamen Ahnen. Auf der Erde waren solche Ausprägungen auf verschiedene Stadien in der individuellen Entwicklung eines einzigen Lebewesens beschränkt, man stelle sich beispielsweise die Entwicklung von der Raupe zum Schmetterling vor. Auf dem Mars konnte, abhängig von den spezifischen Bedingungen, ein einziger fortpflanzungsfähiger Organismus eine Nachkommenschaft in den unterschiedlichsten Formen und Funktionen hervorbringen. Die nicht überlebensfähigen Formen kamen nicht wieder, der reproduktive Organismus ›überprüfte‹ sie nicht auf ihre Tauglichkeit, im folgenden Fortpflanzungszyklus fehlten sie dann ganz. Aus einem einzigen morphologischen ›Krabbelsack‹ voller Überraschungen konnten ganz neue Formen entstehen. Über die Regeln, nach denen das vor sich ging, konnten wir nur spekulieren. Die Ahnen stellten nach ein paar tausend Jahren die Fortpflanzung (die in Eiern oder Kapseln bestanden hatte) ein und starben. Manche der Eier und Kapseln waren als Fossilien erhalten.
    Die Mütter waren der größte Triumph dieser Fortpflanzungsstrategie. Eine einzelne Mutterkapsel konnte bei günstigen Bedingungen ›erblühen‹ und weit mehr als zehntausend verschiedene Formen von Nachkommen hervorbringen – sowohl pflanzen- als auch tierartige Formen, die so beschaffen waren, dass sie als ein einziger Ecos-Organismus zusammenwirkten. Sie verbreiteten sich über Millionen von Hektar und überlebten Tausende von Jahren, bis sie endlich ihr sorgfältig gehütetes Potential frei- und weitergaben. Danach schrumpften sie zusammen, trockneten aus und starben. Es waren neue Kapseln entstanden, ein neuer Zyklus des Wartens begann.
    In Laufe von Äonen wurden der marsianische Frühling mit seinen Überschwemmungen und seiner (aufgrund der Verdampfung von Kohlendioxyd) dichteren Atmosphäre immer seltener und blieb schließlich ganz aus. Die Kapseln blühten nicht mehr auf. Und schließlich starb der Mars.
    Versteinerte Mutterkapseln waren meistens einige Meter unterhalb des Randes von Schluchten vergraben und wurden durch Erdrutsche freigelegt. Typischerweise lagen Überreste von Söhnen und Töchtern der Mutterkapsel – zarte, schwammige, kalkhaltige Knochen und Muschelschalen, ja sogar Membranen, die ultraviolettes Licht gebräunt hatte, ehe sie begraben wurden – in dichten Schichten in der Umgebung der Kapseln. Die hier dunklere Tönung des Bodens verriet uns, wo wir sie finden konnten.
    Monate, ehe Ilya und ich uns kennenlernten, hatten Ilya und Kiqui herausgefunden, dass die letzte Blüte einer Mutter Ecos nicht, wie angenommen, vor fünfhundert Millionen Erdenjahren stattgefunden hatte, sondern vor nicht mehr als zweihundertundfünfzig Millionen Erdenjahren. Sie konnten das Rätsel trotzdem nicht lösen: Organische Moleküle konnten nicht über Zehntausende von Jahren lebensfähig bleiben. Und so groß war normalerweise die maximale Zeitspanne, in der die Kapseln begraben lagen, bis sie endlich ›aufblühten‹.
    Wir parkten unser Gefährt am Ausläufer von vergleichsweise ebenem Gelände. Einige Dutzend Meter jenseits von unserem Parkplatz lagen Hunderte oder auch Tausende von labyrinthischen Spalten und ausgetrockneten Wasserläufen: die Sulci. Fünfzig Meter weiter stand inmitten

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