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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Westen war tintenschwarz und wirkte sehr nah. Er begann schon den Horizont zu verdunkeln. Nur noch Sekunden, dann …
    Ringsum hörten wir ein leises Grollen in den Felsen, danach ein deutliches, rhythmisches Stampfen. »Da sind sie«, sagte ich. »Die Büffel der Prärie.« Wir alle hatten Western der Erde gesehen.
    Ilya legte seine Hand auf meine. »Güterzüge«, sagte er. »Hunderte von Güterzügen.«
    Ich begann zu zittern. »Hast du so was schon mal erlebt?«
    »Als Kind. In einem Stützpunkt.«
    »Wurde jemand verletzt?«
    Er schüttelte den Kopf. »War nur eine kleine Welle, nur ein Viertel Bar. Machte viel Lärm, als sie vorbeizog.«
    »Wie klingt das, wenn sie vorbeizieht?«
    Er wollte es mir gerade erzählen, da hörte ich es mit eigenen Ohren. Es begann gespenstisch, mit dem zischenden, langgezogenen Jammerlaut eines starken Marswindes. Wir hörten es sogar im Graben und durch unsere Helme. Darunter mischte sich das Staccato von Sand und Kieseln, die gegen die Planen und Zeltbahnen schlugen. Die Schwärze schien das Land zu schlucken.
    In meinen Ohren spürte ich solchen Druck, als ob dünne Finger in meinen Kopf stießen. Ich machte die Augen zu Schlitzen auf – instinktiv hatten sich meine Lider geschlossen –, um Ilya anzusehen. Er lag auf dem Rücken, hatte die Schulter gegen die Grabenwand gestemmt und starrte mit suchendem Blick nach oben.
    »Das wird was Schlimmes«, sagte er. »Ich erzähl die Geschichte später fertig, ja?«
    »Klar. Aber nicht vergessen!« Ich machte die Augen wieder zu.
    Einen Moment lang klang die Welle wie gewaltiges Getrommel. Ein dünner Schrei verwandelte sich in ungeheures, grässliches Gebrüll. Ich dachte an einen rasenden Gott, der das Land heimsuchte. Mars selbst, der Kriegsgott, der voller Zorn und unerbittlich nach Dingen suchte, die er erschrecken oder töten konnte.
    Mein Schutzanzug lockerte sich zunächst und heftete sich dann eng an meine Haut. Ein scharfer Schmerz stach in die Ohren. Ich verzerrte das Gesicht und stöhnte. Die Lampe fiel zwischen uns. Ilya packte sie, richtete den Lichtkegel auf sein Gesicht, schüttelte den Kopf, während Tränen über seine Wangen strömten, und zog mich eng an sich. Durch die Schutzanzüge spürte ich seinen Herzschlag.
    Die Grabenwände hörten auf zu wackeln. Wir lagen einen Augenblick still da und warteten, dass es wieder losging. Ich rappelte mich hoch, stieß gegen die Zeltbahn und wollte schnell ans Tageslicht, aber Ilya griff nach meiner Schulter und drückte mich auf den Boden. Ich konnte nicht besonders gut hören. Die Lampe beleuchtete sein Gesicht. Er versuchte, mir durch seine Mundbewegungen Worte zu vermitteln. Irgendwie verstand ich trotz meiner Angst, dass draußen Steinschlag zu befürchten war. Es bestand die Gefahr, dass uns Felsgestein erschlug. In Folge der Welle mochten Felsbrocken aus vielen tausend Metern Höhe herunterfallen und mit einer Geschwindigkeit von achtzig oder neunzig Metern pro Sekunde aufschlagen. Ich drängte mich an Ilya, während mir die Gedanken durch den Kopf rasten und ich das Gesicht vor Schmerzen verzog.
    Die Zeit verging sehr langsam. Meine Angst verwandelte sich in Benommenheit, und die abklingende Benommenheit schließlich in Erleichterung. Wir würden nicht sterben. Das Schlimmste war überstanden, und wir befanden uns immer noch in dem Graben. Allerdings erfasste mich eine neue Angst, und ich musste mich zwingen, mich nicht aus Ilyas Umarmung loszureißen. Vielleicht waren wir unter einer frischen Erdschicht begraben – unter Tonnen von Staub und Sand, Dutzende von Metern hoch. Wir würden es nie schaffen, uns aus eigener Kraft herauszugraben. Unser Sauerstoff würde zur Neige gehen. Wir würden ersticken. Dieser Graben würde genau das werden, wonach er aussah: ein Grab … Ich begann hastig und rau zu atmen und zu zappeln. Ilya hatte alle Mühe, mich in seinen Armen zu halten. »Lass mich los!«, brüllte ich.
    Plötzlich zuckte ich zusammen und hörte auf, um mich zu schlagen. Ein Lichtstrahl hatte mein Gesicht getroffen, und er kam nicht von unserer Lampe. Die Arbeitsroboter des Labors rissen die Folien und Planen weg, sie suchten nach uns.
    Der Roboter, der die Funktion eines Vorarbeiters hatte, tauchte am Grabenrand auf. Ein Armgelenk war ausgerissen, und er war mit Dellen und roten Flecken übersät. Die Felsbrocken hatten ihm schwer zugesetzt. Er hatte den Sturm draußen miterlebt und bis zuletzt die Ränder der Planen festgehalten. Er musste wie eine kleine

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