Heimat Mars: Roman (German Edition)
Konservendose herumgewirbelt sein.
Ilya zog mich aus dem Loch heraus, es herrschte Grabesstille. Das mobile Labor über uns war unversehrt. Vielleicht konnten wir aus eigener Kraft irgendeinen Stützpunkt erreichen.
Wir bürsteten einander ab – nicht, weil es unbedingt nötig war, sondern weil wir einander spüren wollten. Ich fühlte mich beschwingt und übermütig, weil ich noch am Leben war. Wir gingen unter der Hauptplane und den Zeltbahnen hindurch, inspizierten das Labor und traten dann ins Freie.
Die Planen auf dem Wellblechschuppen, in dem die Funde lagen, hatten nichts ausrichten können. Der Schuppen war nirgendwo zu sehen.
Von Horizont zu Horizont glühte der Himmel grau wie Holzkohle, fast schwarz. Der Staub fiel in dichten wellenförmigen Schleiern. Große Streifen lösten sich daraus, trieben umher und verschwanden aus unserem Blickfeld. Wir riefen die Roboter neben dem Laborwagen zusammen, kletterten die Stufen zur Luftschleuse hoch, saugten rasch den grauen Staub von unseren Schutzanzügen und zogen uns aus.
Ilya bestand darauf, dass ich mich auf das schmale heruntergeklappte Bett legte. Er selbst legte sich auf das Bett gegenüber, stand dann aber auf und kuschelte sich eng an mich. Wir zitterten wie zwei verängstigte Kinder.
Wir schliefen eine Stunde. Als wir aufwachten, fühlte ich mich so aufgedreht, als hätte ich viel zuviel starken Tee getrunken. Alles schien scharfe Konturen und grelle Farben zu besitzen. Selbst der Staub im Innern des Labors duftete süß und rein. Der Schmerz in meinen Ohren war in ein dumpfes Pochen übergegangen. Ich konnte noch hören, aber alles war völlig gedämpft.
Ilya zeigte mir den Wetterbericht des Labors. Die Welle hatte einen Höchstwert von zwei Bar erreicht.
»Unmöglich!«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf, lächelte, deutete mit einem Finger auf seine Ohren und schrieb auf seinem Kom: Kompressible Flüssigkeiten – du musst noch viel lernen. Um mit reuiger Miene hinzuzufügen: Tolle Hochzeitsreise. Ich liebe dich!
Ohne große Zeremonie und ohne dass wir noch viel ausziehen mussten, feierten wir das Überleben auf unsere Weise.
Wir meldeten uns über die Satellitenkommunikation, um allen mitzuteilen, dass wir noch am Leben waren und uns selbst helfen konnten. Von Arcadia bis Mariner Valley waren die Vorräte rationiert worden. Die Welle hatte sich beim Überqueren der Tharsis-Vulkane in drei Teile gespalten. Das dreiköpfige Ungeheuer hatte in dreiundzwanzig Stützpunkten zugeschlagen. Es gab auch Opfer zu beklagen: sieben Tote, Hunderte von Verletzten. Auch die Mars-Universität Sinai hatte Schaden erlitten.
Ilya und ich inspizierten das Labor von außen, hoben die Räder wieder an und schnitten die Befestigungen durch. Die Planen und Zeltbahnen hatten die meisten Felsbrocken abgehalten. Kleinere Schäden konnten wir selbst beheben.
Wir beschlossen, alle Proben, die vielleicht noch in den Überresten des Schuppens zu finden sein mochten, einzusammeln und das Labor zurück zum Stützpunkt Olymp zu fahren. Nachdem wir die Sauerstofftanks und Filter unserer Schutzanzüge erneuert hatten, bewegten wir uns einige Dutzend Meter nach Westen. Ilya war niedergeschlagen. Mein Ohren-Tinnitus war vorbei, aber das Hören strengte mich immer noch an. Ilyas Stimme war in meinem Helm ein kaum verständliches Quäken. »Sieht so aus, als hätten wir die Kapsel verloren«, sagte er. Der Schuppen selbst war nirgendwo zu sehen. Vielleicht war er inzwischen schon bis nach Tharsis geflogen. Aber seinen wertvollen Inhalt hatte er dabei sicher verloren.
Durch die dünner werdenden Staubschleier blickte ich nach oben. Der Himmel, der durch das Grau lugte, wirkte grünlich. Eine solche Farbe hatte ich noch nie gesehen. Ich wies Ilya darauf hin. Er runzelte die Stirn, blickte zum Labor, schob das Kinn vor und sagte, wir sollten weitermachen.
Die Lufttemperatur hielt sich knapp über Null. In dieser Breite hätte sie zu dieser Zeit eigentlich minus dreißig oder vierzig Grad betragen müssen.
Meine Munterkeit schwand rasch. »Bitte«, grummelte ich. »Es reicht. Ich bin keine abenteuerlustige Frau.«
»Was?«, fragte Ilya.
»Es ist warm hier, und ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.«
»Weiß ich auch nicht«, sagte Ilya. »Aber ich glaube nicht, dass Gefahr besteht. Sie haben keine neuen Warnmeldungen durchgegeben.«
»Vielleicht braut sich nur hier etwas zusammen«, wandte ich ein. »Ist doch allgemein bekannt, dass das Wetter in den Sulci oft verrückt
Weitere Kostenlose Bücher