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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Gesicht wie ein kleines Mädchen gegen die Glasscheibe. Ganz kurz verführte mich der Anblick dazu, meine Sorgen zu vergessen. Ich fühlte mich schwerelos und schwebend, wie ein Gespenst, wie eine Kinderseele, die über Sand hinwegfliegt. Aufgrund meiner Erweiterung konnte ich spüren, wie sich über die Jahre hinweg der Druck in diesem, von ultravioletten Strahlen gerösteten Geröll aufgebaut hatte. Wie der Wind Schichten von Treibsand und Staub beseitigt hatte. Wie plötzlich kalte Nachtluft von den nahen Böschungen herunterströmte. Wie der Druck innerhalb der Wüstendecke winzige Quarzkristalle entstehen ließ …
    Dann stellte ich mir vor, die Blitze stammten von Heuschrecken, die einander Zeichen gaben. Mit einem leisen Aufschrei zog ich mich vom Fenster zurück. Dandy wurde sofort wach, streckte die Beine und blinzelte mich an. Er war mit der Waffe so schnell, dass ich sie erst sah, als er sie schon gezogen hatte.
    »Haben Sie geträumt?«, erkundigte er sich und verstaute die Waffe ohne jede Entschuldigung wieder im Halfter.
    »Nein«, antwortete ich. »Nur an das Schlimmste gedacht.«
    »Das ist nicht gut«, bemerkte er.
    Jack kam in die Kabine und teilte uns mit, die Gleise seien offenbar bis Schiaparelli und nach Many Hills hinein frei. »Wir haben zwei Züge überholt. Anscheinend rasen sie mit Vollautomatik über die Strecke«, sagte er. »Wenigstens das haben die Computer noch geschafft, ehe sie abgestürzt sind.«
    »Saßen noch Menschen darin?«, fragte ich.
    »Das nehme ich an«, antwortete er mit versteinertem Gesicht.
    Der Zug erklomm eine Reihe anmutig geschwungener, märchenhaft luftiger Bahnviadukte. Wir erreichten den Gipfel der nach innen abfallenden Hänge des Schiaparelli-Beckens und fuhren in die große flache Ebene hinunter. Fünfundzwanzig Stunden waren seit unserem Aufbruch von der Mars-Universität Sinai vergangen. Many Hills stand mitten in den abgetragenen Hügeln uralter zentraler Ringe. Der Zug glitt in den neuen, strahlend weißen Bahnhof.
    Die weißen Wände und Luftschächte hoben sich scharf von der ockerfarbenen und roten Umgebung ab und boten eine ideale Zielscheibe für jeden Angriff. Die ganze Stadt war ein ideales Ziel. Aber diese Art von Kriegsführung war längst überholt. Inzwischen konnten die Soldaten sich unsichtbar machen und die Zerstörung von innen heraus durch Maschinen bewirken, die wie Termiten agierten. Bomben von außen waren gar nicht mehr nötig. Kriegsroboter hatte Jack sie genannt. Ein schrecklicher, widerlicher Ausdruck.
    Alles wirkte verlassen, ganz wie erwartet. In einem Notfall pflegten rote Karnickel stets die Nähe von Wasser- und Sauerstoffquellen zu suchen. Eine marsianische Siedlung sieht von außen sowieso nur selten bewohnt aus. Und in der neuen Hauptstadt der Republik waren noch gar nicht alle Beamten, Kabinettsmitglieder, Juristen, Gouverneure und Abgeordnete eingetroffen.
    Point One hatte seine Führungszentrale vor einigen Wochen in Many Hills eingerichtet. Point One hatte die Stabsleitung für die Leibwächter der Präsidentin und Vizepräsidentin übernommen, die marsianischen Nachrichten- und Sicherheitsdienste aufgebaut und mit überraschendem Tempo ein sorgfältig beobachtetes Eigenleben entwickelt. Jetzt war ich dankbar, als ich Frauen und Männer am Bahnhof erblickte, die ich wiedererkannte. Sie trugen Waffen, hatten Schutzanzüge an und warteten mit finsteren, aber sachlichen Mienen auf den Zug.
    Wir stiegen in einem unterirdischen Abschnitt, fern von jeder möglichen Bombardierung, aus. In einem gepanzerten Lastwagen brachte man mich sofort in die gerade fertiggestellten Tunnel östlich des Regierungsbaus.
    Dandy und Jack trafen sich im hinteren Teil des Wagens mit ihrem Vorgesetzten, Tarekh Firkazzie. Firkazzie, ein drahtiger blonder Mann aus Boreum, war einen Monat zuvor zum Leiter der gesamten Inneren Sicherheit ernannt worden.
    Zwei Frauen befreiten mich von meinem reaktiven Panzer und packten ihn sorgfältig zur Entsorgung ein. »Sie sind tapfer, Frau Vizepräsidentin«, sagte eine der Frauen, »dass sie einen ganzen Tag lang mit diesem Zeug am Leib gereist sind.«
    Jack kam nach vorn, knirschte hörbar mit den Zähnen und schob den Unterkiefer vor, als ob er ein heroisches Mannsbild spielen wolle. Dann sah ich, dass sein Gesichtsausdruck, wie absurd er auch wirken mochte, durchaus echt war: Er hatte tiefen Kummer.
    »Frau Vizepräsidentin, man hat mich dazu bestimmt … wir haben gelost … ich muss Ihnen eine schlimme

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