Heimat Mars: Roman (German Edition)
wütend, dass ich fast geheult hätte. Ich sah aus dem Fenster, hatte aber gar keinen Blick für die alten grotesken Formationen da draußen.
»Einverstanden?«, wiederholte er.
»Ich weiß nicht, wie ich mich anders verhalten soll«, antwortete ich. »Ich kann mich nicht gut verstellen.«
»Ich auch nicht, und ich will’s auch gar nicht erst versuchen. Wenn ich für dich einfach nicht der Richtige bin, dann lassen wir’s am besten und genießen den Ausflug, so gut wir können.«
»Ich weiß nicht, warum du so wütend bist.«
»Das weiß ich selbst nicht. Tut mir leid.«
Er legte einen Gang ein, einige Minuten fuhren wir dahin, ohne zu reden. »Manchmal träume ich davon«, sagte er schließlich. »Ich träume, ich sei irgendein Eingeborener des Mars, könnte mich nackt an der Oberfläche aufhalten und mit meinen Sinnen alles aufnehmen. Könnte in die Zeit zurückreisen, als der Mars noch lebendig war.«
»Augen wie Münzen. Körper so schlank. Die Haut von Nussbraun oder Bronze. Dunkel waren sie und hatten goldene Augen. «
»Genau«, sagte Charles. »Wir leben auf einem verdreifachten Mars, nicht wahr? Auf dem Mars, den sie vor Jahrhunderten auf der Erde erfunden haben. Auf dem Mars der LitVids. Und auf diesem Mars.«
Die Spannung schien beseitigt zu sein. Meine Stimmung schwankte mal wieder wild hin und her. Schon wieder hätte ich heulen können. Aber diesmal vor Erleichterung. »Du bist sehr tolerant«, sagte ich.
»Wir sind beide schwierig«, bemerkte Charles. Er lehnte sich herüber und stieß seinen Helm gegen meinen. Unsere Lippen konnten sich nicht näher kommen. Also beließen wir es dabei.
»Zeig mir deinen Mars«, forderte ich ihn auf.
Der Canyon, den der Strom von Schmelzwasser gegraben hatte, erstreckte sich über dreißig Kilometer und schnitt eine Zickzacklinie durch die Ebenen. Auf beiden Seiten der Klippen hatte man Transportwege angelegt, das kam billiger als der Bau einer Brücke. Zwar verschandelten diese Wege die Landschaft, machten dafür aber den Grund des Canyon für Schlepper zugänglich.
»Die Bodenkunde wird hier wirklich handgreiflich«, sagte Charles. »Erst kommt das Gläserne Meer. Dann die erste Tharsis-Zeit mit tiefen ozeanischen Ablagerungen, die sich über eine Milliarde Jahre hinweg gebildet haben. Kalkstein … dann Eisschichten und Moränen … Dann gab’s die wirklich starken Winde gegen Ende der letzten Eiszeit.«
Wir rollten den Steilhang zum Canyon hinunter. Auf beiden Seiten hatten die Wände Schichten von eisenhaltigem Hämatitsand und dunklere Schichten aus klebrigem Lehm. »Wind und Eis«, sagte ich.
»Du hast’s erfasst. Flugsand und Treibsand. Dreck, der klebt und mahlt … Es gibt hier eine ziemlich dicke Schicht von chromhaltigem Lehm aus dem Norden.« Charles deutete auf einen graugrünen Streifen rechts von uns, der mindestens ein Meter dick war. Er wich mit dem Schlepper einem Steinschlag aus, der hier vor nicht langer Zeit niedergegangen sein musste, und quetschte das Fahrzeug durch eine Verengung, die eigentlich kaum passierbar wirkte. Zwanzig Meter unterhalb der glatt geschabten Schichten kamen wir heraus. Mit unseren Reifen verdrängten wir den Treibsand. Darunter kam blasseres Geröll und schwerer Lehm zum Vorschein.
»Für Sand und Staub haben wir genauso viele Wörter wie die Inuit für Schnee«, stellte Charles fest.
»Das war in der Schulzeit ein beliebter Test«, sagte ich. Erinnere dich an alle Formen von Staub und Sand, und zähle sie in alphabetischer Reihenfolge auf. »Ich erinnere mich nur noch an zwanzig.«
»Wir sind da«, sagte Charles und ließ den Steuerknüppel los. Der Schlepper bremste ab und blieb mit leisem Quietschen stehen. Außerhalb der Kabine herrschte Stille. Der starke Wind der vorigen Nacht hatte sich gelegt, die Luft stand still. Ein staubfreier Himmel erstreckte sich pechschwarz von Felswand zu Felswand. Wir hätten auch auf dem Mond der Erde sein können, hätte der Canyon eine andere Farbe gehabt und wäre das alte Flussbett nicht rötlichgelb und geriffelt gewesen.
Charles genoss die Stille. Sein Gesicht wirkte entspannt und konzentriert. »Im Kofferraum ist eine Schürfausrüstung. Wir graben eine Stunde und kehren dann zum Schlepper zurück.« Er zögerte, als denke er nach. »Danach machen wir uns auf den Heimweg. Ich meine, auf den Weg zur Station.«
Wir überprüften unsere Schutzausrüstung sehr gründlich, füllten unsere Sauerstoffvorräte aus den Tanks des Schleppers auf, pumpten die
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