Heimat Mars: Roman (German Edition)
geschabten Schichten, gibt es Ablagerungen von Silikat.«
»Das Gläserne Meer«, sagte ich. Jedes Kind auf dem Mars erhielt irgendwann ein Fossil aus dem Gläsernen Meer.
Charles lenkte um einen Kalksteinfelsen herum, der eine Basaltkuppe trug. Basaltbrocken lagen hier überall herum. Sie stammten von einem alten Meteoriteneinschlag. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Meteorit mitten im flachen Meer aufgeschlagen war, seine Bruchstücke über Hunderte von Kilometern geschleudert und eine Wolke aus schlammigem Regen und Dampf verursacht hatte … Das hatte der ohnehin empfindlichen Ökologie den Rest gegeben. »Das macht mich ganz nervös«, sagte ich.
»Was?«
»Die Zeit. Die Epochen. Sie lassen unser Leben so unbedeutend erscheinen.«
»Wir sind unbedeutend«, sagte Charles.
Ich machte ein strenges Gesicht und schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht. Eine Zeit der Leere ist nicht sonderlich …« – ich suchte nach dem richtigen Wort. Mir kam warm, lebendig, interessant in den Sinn, aber all diese Wörter wirkten so typisch weiblich, und Charles ruppige Reaktion war entschieden männlich gewesen. Die Reaktion eines Intellektuellen, der über den Dingen steht – »… nicht sonderlich aktiv «, fuhr ich fort. »Es gab keine Zeitzeugen«, schloss ich lahm.
»Trotzdem: Wir sind nur einen Augenblick lang hier. Und die Veränderungen, die wir in der Landschaft bewirken, werden in ein paar tausend Jahren weggefegt sein.«
»Da bin ich anderer Ansicht. Ich glaube, wir drücken den Dingen wirklich unseren Stempel auf. Wir beobachten, wir planen im voraus, wir wissen, was wir wollen …«
»Manche von uns«, wandte Charles ein und lachte.
»Nein, das ist mein voller Ernst. Wir können sehr viel bewirken. Die ganze Flora und Fauna des Mars starb aus, weil …« Ich konnte immer noch nicht klar ausdrücken, was ich eigentlich sagen wollte.
»… weil sie nicht wussten, wo es hingehen sollte?«, sprang Charles ein.
»Genau.«
»Wart ab, bis du’s siehst«, sagte Charles.
Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Ich will gar nicht, dass mich irgend jemand davon überzeugt, wie unwichtig ich bin.«
»Lass das Land für sich sprechen.«
Weiträumige, große Vorstellungen hatten mir immer schon zu schaffen gemacht. Astrophysik, Bodenkunde, all das schien mir nebulös und hohl im Vergleich zur menschlichen Geschichte, die so kurz war und offenlag. In meinem Studium hatte ich mich auf politische und kulturelle Zusammenhänge, auf die zwischenmenschlichen Beziehungen konzentriert. Dagegen zog Charles meiner Meinung nach die weiten, offenen Gebiete einer Natur vor, in der die Menschheit gar nicht präsent war.
»Anscheinend interpretieren wir das, was wir sehen, immer gerade so, wie es uns in den Kram passt«, sagte ich von oben herab.
Einen Augenblick lang brachte mich sein Gesichtsausdruck dazu, meine Worte zu bedauern. Charles ließ die Mundwinkel hängen, seine Augen verengten sich zu Schlitzen, er schüttelte leicht den Kopf. Wenn es zutraf, dass ich mit ihm spielte und ihn wie einen Fisch an der Angel hielt, dann hätte ich die Schnur jetzt anziehen können. Plötzlich fühlte ich mich schrecklich unsicher. Mit meinem Handschuh berührte ich seinen gepolsterten Ärmel, aber das wirkte irgendwie nicht ganz angemessen. »Ich will immer noch hinfahren und es mir ansehen«, sagte ich.
Charles ließ den Steuerknüppel los. Der Schlepper wurde langsamer und blieb schließlich mit einem Rück stehen. Charles drehte sich in seinem Sitz halb herum und fragte: »Nerve ich dich?«
»Nein, warum?«
»Ich fühle mich so, als ob du mich auf die Probe stellst. Mir Schlüsselfragen stellst, damit du herausfinden kannst, ob ich annehmbar bin.«
Ich biss mir auf die Lippe und blickte in meinen Schoß, da ich ein bisschen Reue zeigen wollte. »Ich bin nervös«, sagte ich.
»Na ja, das bin ich auch. Vielleicht sollten wir es einfach mal dabei belassen und uns entspannen.«
»Ich hab ja nur eine Meinung geäußert«, sagte ich, plötzlich wieder zornig. »Tut mir leid, dass ich so ungeschickt war. Ich bin noch nie hier gewesen, ich kenne dich nicht besonders gut, ich weiß nicht, was …«
Charles streckte abwehrend die Hände hoch. »Am besten, wir vergessen das. Ich meine, lass uns alles vergessen, was zwischen uns steht. Versuchen wir doch einfach mal, uns wie zwei Freunde zu benehmen, die zusammen einen Ausflug machen. Wenn du dich lockerer verhältst, kann ich das auch. Einverstanden?«
Seine Stimme klang so
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