Heimat Mars: Roman (German Edition)
Schritt tat, würde er die Chance vielleicht vertun. Und ich würde um die Entscheidung herumkommen, ob ich mich auf ihn einlassen wollte. Ich fragte mich, von wie vielen Frauen Charles wohl schon ernsthaft angemacht worden war, und wie oft er sich darauf eingelassen hatte – falls überhaupt. Schreckliche Vorstellung, dass wir womöglich beide keine Erfahrung hatten. Oder nicht?
»Wir haben morgen viel vor«, sagte Charles und wandte die Augen ab. »Ich freue mich, dass du dich entschlossen hast, mitzukommen. Das tut meinem Ego wirklich gut.«
»Warum?«
»Ich möchte jetzt wirklich nichts übereilen«, sagte er so leise, dass ich es kaum hören konnte.
»Was nicht übereilen?«
Er schenkte sich Wein nach, runzelte dann die Stirn und streckte die Zunge heraus. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich das getan habe. Ich will gar nichts mehr. – Du bist sehr tolerant.« Seine nächsten Worte sprudelten heraus, er begleitete sie mit schnellen Handbewegungen, wie in einer Debatte. »Ich bin schüchtern und linkisch und weiß nicht, was ich tun soll, ob ich überhaupt etwas tun soll. Und am liebsten möchte ich mit dir im Augenblick sowieso nur reden und herausfinden, was mich an dir so anzieht. Aber ich glaube, ich müsste eigentlich noch was anderes tun, vielleicht versuchen, dich zu küssen oder so … Natürlich hätte ich ganz und gar nichts dagegen.« Er sah mich ehrlich bekümmert an. »Wie steht’s mit dir?«
Ich hatte gehofft, jemand würde mir durch diese Situation helfen. Hatte auf jemanden gehofft, der mir etwas beibringen konnte.
»Reden ist wunderbar«, versicherte ich.
Charles kam ein bisschen zu schnell aus der Reserve. Wir küssten uns. Er legte seine Hand auf meine Schulter, drückte mich erst sanft an sich und später, als er sich seiner Lust überließ, heftiger. Ich stieß ihn vorsichtig zurück, lehnte mich dann aber wieder nach vorn und küsste ihn noch einmal, um ihm zu zeigen, dass ich ihn nicht zurückwies. Er wurde rot, sein Blick flackerte. »Komm, wir gehen’s besser langsam an«, sagte ich.
Wir schliefen in getrennten Zimmern. Durch die Wand hörte ich, wie Charles auf und ab tigerte und vor sich hin murmelte. Ich glaube nicht, dass er in dieser Nacht viel Schlaf gefunden hat. Ich schlief überraschend gut.
Am nächsten Morgen ging ich nach dem Anziehen in die Küche. Dort fand ich den Hauptroboter, er stand wie angewurzelt mitten im Raum. Vorsichtig berührte ich ihn. »Mein Betriebssystem ist außer Funktion«, krächzte eine schwache Stimme vom Band. »Ich muss repariert oder ersetzt werden.« Dann verstummte der Roboter völlig.
Ich machte mir selbst eine Tasse Tee und wartete auf Charles. Nach einigen Minuten kam er herein. Er gab sich alle Mühe, seine Müdigkeit zu überspielen. Ich brühte ihm eine Tasse Tee auf.
»Gut geschlafen?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Und du?«
»Ganz gut. Tut mir leid, wenn ich dich frustriert habe.«
»Du bist für mich ja nicht irgendeine Tussi aus Shinktown.«
»Freut mich«, sagte ich.
»Allerdings hab ich keine Ahnung, was du von mir erwartest.«
Ich griff nach seiner Hand. »Wir machen uns einen wunderschönen Tag, sehen uns die Gegend an und suchen nach Fossilien. Wir unterhalten uns und lernen einander noch besser kennen. Reicht das denn nicht?«
»Es ist immerhin ein Anfang«, sagte Charles.
Wir frühstückten und zogen Schutzanzüge an.
»Das alles hier wurde nicht durch Gletscher glatt geschliffen«, sagte Charles und deutete mit der Hand, die im Handschuh steckte, zur Ebene hinüber. Wir saßen in der Führerkabine des Schleppers und trugen beide volle Schutzkleidung, allerdings hatten wir die Visiere unserer Helme hochgeschoben. Der Schleppermotor heulte auf, als wir über eine Bodenerhebung fuhren. »Die Gletscher sind etwa hundert Kilometer östlich und fünfzig Kilometer westlich vorbeigezogen. Aber ihr Schmelzwasser hat ganz in der Nähe ein Flussbett zurückgelassen. Es schneidet durch zwei Milliarden Jahre altes Gebiet. Wenn wir zum Canyon hinunterfahren, kommen wir durch drei ganz verschiedene Abschnitte des Marslebens. Die oberste Schicht ist rund fünfhundert Millionen Jahre alt. Die Gletscherwanderung begann erst rund hundert Millionen Jahre, nachdem diese Schicht abgestorben war. Die mittlere Schicht ist zwei Milliarden Jahre alt. Dabei handelt es sich um das sekundäre und tertiäre Zeitalter, um die Zeit vor der Bildung des Schildes und der ersten Tharsis-Ecos-Zeit. Ganz unten, in den glatt
Weitere Kostenlose Bücher