Heimat Mars: Roman (German Edition)
schrie ich.
Wir hatten das Museumszimmer nicht verlassen. Ich nahm seinen Arm, ging mit ihm ins Zentrum unserer Unterkunft und öffnete die Tür zum Tunnel, der Richtung Teegarten führte. Mit zusammengebissenen Zähnen drängte ich ihn hindurch.
Der Teegarten lag in einer zylinderförmigen Zelle, zehn Meter unter der Oberfläche. Dichte grüne Büsche wucherten aus den Wänden, der Decke und dem Boden. Sie waren dem Licht eines Bestrahlungsgerätes zugewandt, das sie alle in wechselnden Abständen erfasste. In der zirkulierenden Luft raschelten die Blätter leise. Ich hielt Charles noch immer am Arm fest. Am südlichen Ende der Zelle blieb ich stehen.
»Ich bin diejenige, die etwas falsch gemacht hat«, sagte ich. »Ich bin’s, nicht du!«
»Ich hielt alles für so selbstverständlich, für so echt.«
»Vielleicht hätte es das in drei oder fünf Jahren auch sein können, wir haben uns einfach die falsche Zeit ausgesucht. Wer weiß, was wir in ein paar Jahren machen.«
Charles ließ sich auf einer Bank nieder. Ich setzte mich neben ihn und wischte mir schnell mit einem Ärmel über die Augen. Noch vor wenigen Jahren hatte ich mit Puppen gespielt und wie gebannt LitVid-Sendungen verfolgt, in denen es um Erlebnisse von Mädchen in viktorianischer Zeit auf der Erde gegangen war. Wie hatte sich alles so schnell ändern können?
»Auf der Erde«, bemerkte Charles, »klären sie die Kinder über alles auf. Über Sex, über das Verliebtsein, über die Ehe.«
»Auf dem Mars sind wir rückständig«, stellte ich fest.
»Wir machen Fehler, weil wir es nicht besser wissen.«
»Ich weiß es nicht besser, da hast du recht«, sagte ich. Unsere Stimmen klangen wieder wie bei einer ganz normalen Unterhaltung. Wir hätten auch über die besten Teesorten diskutieren können: Ja, die Marsbewohner mögen ihren Tee. Mir schmeckt ja der Pekoe am besten. Und dir?
»Ich werde mich nicht mehr entschuldigen«, sagte er und nahm meine Hand. Ich drückte seine Finger. »Ich hab’s ehrlich gemeint. Und jetzt sag ich dir noch etwas … Wann immer du bereit bist, wo immer wir dann auch sein mögen: Ich werde für dich da sein. Ich werde nicht abspringen. Ich hab dich erwählt, Casseia, und werde mit keiner anderen Frau glücklich werden. Bis dahin bleibe ich dein Freund. Ich erwarte gar nichts von dir.«
Ich wollte aufspringen und schreien: Charles, das ist mir zu dumm, kapierst du denn gar nicht, was ich sage? Aber ich tat es nicht. Plötzlich sah ich Charles sehr genau als das, was er war: ein Pfeil, der schnurstracks ins Ziel schoss. Er hatte keine Zeit für Lügen. Er hatte ja nicht einmal Zeit, sich hängenzulassen und herumzuspielen. Er war ein aufrechter, ehrlicher Mann und würde wirklich einen wunderbaren, liebevollen Ehemann abgeben.
Aber bitte nicht meinen. Mein Weg würde anders verlaufen als der Weg von Charles. Vielleicht würde ich nie ins Ziel treffen. Ich bezweifelte, dass sich unser beider Ziele jemals decken würden.
Mir wurde klar, dass ich ihn vermissen würde. Das tat so weh, dass ich es nicht ertragen konnte.
Ich verließ den Teegarten. Mein Vater zeigte Charles das Gästezimmer.
Später kam Vater in mein Zimmer. Die Tür war verschlossen, und ich hatte die Sprechanlage abgestellt, aber ich hörte sein Klopfen durch Stahl und Schaumstoff. Ich ließ ihn ein, er setzte sich auf den Bettrand. »Was ist denn eigentlich los?«, wollte er wissen.
Ich weinte still vor mich hin und konnte nicht aufhören.
»Hat er dir weh getan?«
»Meine Güte. Nein.«
»Hast du ihm weh getan?«
»Ja.«
Vater schüttelte den Kopf, verzog die Lippen und setzte dann wieder eine neutrale Miene auf. »Ich will gar nicht weiter fragen. Du bist meine Tochter. Aber ich will dir etwas sagen, und du kannst damit machen, was du denkst. Charles ist offensichtlich in dich verliebt, und du musst ihn ja irgendwie dazu ermuntert haben …«
»Bitte«, unterbrach ich ihn.
»Ich hab ihn ins Gästezimmer gebracht. Er hat mich angesehen wie ein kleiner Hund, der sich verlaufen hat.«
Ich drehte mich weg. Es schnitt mir ins Herz.
»Hast du ihn mit der Absicht nach Ylla eingeladen, ihn uns vorzustellen?«
»Nein.«
»Aber er hat das so aufgefasst.«
»Nein.«
»Also gut.« Er zog ein Knie an und verschränkte die Hände darüber – eine sehr männliche, sehr väterliche Geste. »Seit Jahren frag ich mich schon, was ich tun soll, falls dir jemand weh tut, wie ich reagieren soll, wenn du dich verliebst. Du weißt, wie lieb ich dich habe.
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