Heimat Mars: Roman (German Edition)
was Charles jetzt wohl gerade machte. Anders als Charles hatte ich immer noch keinen Menschen gefunden, der meine freie Zeit ernstlich in Anspruch nahm. Am Tag vor dem Start hatte ich mit Diane gesprochen. Sie hatte mich gefragt, ob ich mich auf ein Raumschiffabenteuer freue. »Vergiss es«, hatte ich geantwortet. »Ich werde als viel beschäftigtes Karnickel herumhoppeln.«
Allein die Hinreise zur Erde würde acht Erdenmonate dauern. Jeder Passagier konnte unter drei Möglichkeiten wählen. Die erste war der Wärmeschlaf, der Geist bewegte sich dabei in einer anspruchsvollen simulierten Umgebung. (Manche Leute nannten das auch grob Cybernierung ). Die zweite Möglichkeit war die Reise in Echtzeit, die dritte eine vorher festgelegte Mischung aus den Möglichkeiten eins und zwei. Die meisten Marsianer wählten Echtzeit, die meisten Erdenbürger, die sich auf dem Rückweg zur Erde befanden, Simulationen und Wärmeschlaf.
Die Marsszenerie wich plötzlich einer Ansicht der Tuamoto im Raum. Gestänge wurde festgemacht, die Passagierzylinder eng an den Rumpf gedrückt. Vor dem Hintergrund der Sterne wirkte das, was für die nächsten acht Monate unsere Heimstätte sein würde, ganz winzig. Schlepper befestigten Tanks mit Helium Drei-Treibstoff, Wasser und Methan am Bug. Die Auspufftrichter des Antriebs, ans Heck geschmiegt, wurden versuchsweise geschwenkt.
Eine leise Stimme versorgte ein Ohr ständig mit Erläuterungen dessen, was da draußen passierte. Die Tuamoto war fünfzehn Erdenjahre alt und in der Erdumlaufbahn montiert worden. Sie wurde mit Nano betrieben, hatte schon fünf Reisen zwischen Erde und Mars hinter sich, war vor ihrer letzten Reise zum Mars überholt worden und wurde von den Reiseführern auf Erde und Mars gut beurteilt. Sie hatte eine fünfköpfige Besatzung: drei Menschen, einen speziell für das Schiff ausgebildeten Denker und einen Hilfsdenker als Reserve.
Bei der Vorstellung, so lange eingeschlossen zu sein, hatte ich einen Anflug von Platzangst. Einige Stunden vor Reiseantritt hatte ich mich mit dem Bauplan des Schiffes vertraut gemacht und mir in Vorbereitung auf den Alltag an Bord die Wege in der Umgebung der Passagierkabinen eingeprägt. Aber ich würde erst noch lernen müssen, mit der Gewissheit, dass es keinen Weg hinaus gab, richtig umzugehen. Zwar hatte ich den größten Teil meines Lebens in Tunneln und geschlossenen Räumen verbracht, aber ich hatte stets gewusst, dass es da noch einen anderen Tunnel, einen weiteren Bau gab. Und als letzte Zuflucht war mir immer die Möglichkeit geblieben, einen Raumanzug anzulegen und durch eine Schleuse an die Oberfläche zu schießen … ein Luxus, den die Tuamoto nicht bot.
Mir war durchaus nicht wohl bei dem Gedanken, so viele Monate in Gesellschaft so weniger Leute zu verbringen. Was war, wenn Bithras, Allen und ich überhaupt nicht miteinander konnten?
Ein winziger Fahrstuhl, der jeweils drei Passagiere gleichzeitig aufnehmen konnte, beförderte uns von der Hauptschleuse durch den ganzen Rumpf und brachte uns in eine kleine Kabine vor den Antriebs-Schutzschilden. Der für unsere Einheit zuständige Steward – er war klein, stämmig, hatte sandfarbenes Haar, braune Haut, schwarze Augen mit durchdringendem Blick und war um die vierzig (Erden-)Jahre alt – begrüßte uns förmlich und höflich. Er stellte sich als Acre, schlicht Acre, vor. Er verfügte über die bemerkenswerte Fähigkeit, seine Füße in Hände zu verwandeln und seine langen braunen Beine nach vorn und hinten zu knicken, was er uns rasch und ohne viele Erklärungen vorführte. Er geleitete uns in kleinen Gruppen zur zweiten Schleuse. Hier kletterten wir durch eine kaum ein Meter breite Verbindungsröhre zu unserem Zylinder. Dort angekommen, schwebten wir in die Aussichtslounge, die ringsum Fenster mit direktem Ausblick hatte. Jetzt waren sie allerdings mit Abdeckungen und Jalousien verschlossen.
Die Lounge bot Platz für uns alle. Wir rückten zusammen und warteten auf Anweisungen. Bithras ging der letzten Gruppe von Passagieren voran, beriet sich kurz mit dem Steward und musterte mit finsterem Blick die Menge. Als sein Blick meine Augen traf, verwandelte sich seine mürrische Miene in ein strahlendes Lächeln. Er schwenkte den Arm und winkte mir lebhaft zu.
Der Steward an der Verbindungsröhre rief meinen Namen aus. Ich glitt nach vorn, verhedderte mich an den Haltegriffen, stieß einige meiner Reisegefährten an, entschuldigte mich und fand schließlich einen Halt.
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