Heimat Mars: Roman (German Edition)
geworden war –, waren in Briefkästen der Familie anonyme Morddrohungen gegen Bithras aufgetaucht. Manche Leute hatten verärgerte Zentralisten im Verdacht, andere die kleineren BGs, die am wenigsten zu gewinnen und am meisten zu verlieren hatten.
Meine Mutter, mein Vater und mein Bruder saßen in einer Ecke der Lounge, nahe bei einem großen Fenster, das Aussicht auf den Raumhafen bot. Die stumpfen weißen Nasen von Raumfähren ragten aus halbgeöffneten Silotoren. Roter Treibsand bildete glatte Streifen auf dem weißen Pflaster. Arbeitsroboter waren ständig damit beschäftigt, das Feld zu säubern.
Wir unterhielten uns, wobei auf kurze Wortschwalle lange Pausen folgten. Das war die für den Mars typische Reserviertheit. Meine Eltern versuchten, Stolz und Kummer nicht zu zeigen. Stan lächelte nur. Stan lächelte immer, in guten wie in schlechten Zeiten. Manche schätzten ihn deshalb falsch ein. Stan hatte einfach ein Gesicht, das ihm das Lächeln leichter als jeden anderen Gesichtsausdruck machte.
Vater nahm mich bei den Schultern und sagte: »Du wirst dich bestens bewähren.«
»Natürlich wird sie das«, warf meine Mutter ein.
»Wir werden wohl jemanden adoptieren müssen, während du fort bist«, fuhr Vater fort. »Ein leeres Haus ertragen wir nicht.«
»Den Teufel werden wir tun«, widersprach Mutter. »Stan wird uns in ein paar Monaten verlassen …«
»Ach ja?«, fragte Stan mit merkwürdigem Unterton. In der scherzhaften Frage klang echte Überraschung mit.
»Und zum ersten Mal in zehn Jahren werden wir die Räume ganz für uns haben. Was sollen wir bloß anfangen?«
»Neue Teppiche auslegen«, antwortete Vater. »Sie halten sich nicht mehr so gut wie früher.«
Mit einer Mischung aus Verlegenheit und Traurigkeit hörte ich zu. Am liebsten hätte ich mich jetzt auf der Stelle zurückgezogen und meinen Tränen freien Lauf gelassen, aber das ging ja nicht.
»Wir werden stolz auf dich sein, dafür wirst du schon sorgen«, sagte Vater. Und um sicherzugehen, dass die Bemerkung bei mir auch angekommen war, wiederholte er sie noch einmal lauter.
»Ich werd’s versuchen«, murmelte ich und blickte ihm ins Gesicht. Vater und ich hatten uns noch nie so richtig verstanden. Er hatte aus seiner Liebe zu mir nie ein Hehl gemacht und mich auch nie von oben herab behandelt. Aber oft erschien er mir wie ein Rätsel. Mutter glaubte ich zu kennen. Und dennoch war es meine Mutter, die mich ständig überraschte, und mein Vater, der es niemals tat.
»Wir wollen den Abschied nicht in die Länge ziehen«, sagte meine Mutter resolut und griff nachdrücklich nach dem Ellbogen meines Vaters. Mutter und ich umarmten uns. Ich drückte sie fest und fühlte mich wie ein kleines Mädchen, wollte am liebsten, dass sie mich auf den Schoß nahm und schaukelte. Sie löste sich lächelnd und mit Tränen in den Augen aus unserer Umarmung und stieß mich tatsächlich weg, sanft aber entschlossen. Vater griff mit beiden Händen nach meiner Hand und schüttelte sie. Auch er hatte Tränen in den Augen. Sie wandten sich jäh ab und gingen davon.
Stan blieb noch ein bisschen. Wir standen abseits von der Menschenmenge und sprachen nur wenig. Schließlich neigte Stan den Kopf zur Seite und flüsterte: »Sie werden dich vermissen.«
»Ich weiß«, sagte ich.
»Und ich werde dich auch vermissen.«
»Die Zeit wird im Nu vorübergehen.«
»Ich werde heiraten«, sagte er und reckte sein Kinn kampflustig vor.
» Was ?«
»Jane Wolper.«
»Aus Cailetet?«
»Genau.«
»Stan, Vater kann die Cailetets nicht ausstehen. Sie sind rücksichtslos und stammen vom Mond. Wir konnten noch nie mit ihnen.«
»Vielleicht liebe ich Jane genau deswegen.«
Ich starrte ihn verwundert an. »Du verblüffst mich.«
»Jaja.« Er wirkte recht selbstzufrieden.
»Schließt du dich ihrer Familie an?«
»Ja.«
»Dann bin ich nur froh, dass ich jetzt abreise.«
»Ich werde dich auf dem laufenden halten«, versprach er. »Falls Vater mich gar nicht erwähnt, weißt du, dass es schlecht gelaufen ist. Die Einzelheiten verrate ich dir, wenn sich der Sturm gelegt hat.«
Ich sah ihn vor mir, wie er als Fünfjähriger den Tunnel zwischen unseren Zimmern entlanggerannt war, ich war damals zweieinhalb gewesen und hatte ihn angehimmelt. Er konnte wie ein Känguru hüpfen und trug Gummischoner, um sich mit Händen und Füßen von den Tunnelwänden abzustoßen. Sportlich und ausgeglichen wie er war, wusste Stan immer, wo es langging. Nie widersprach er unseren
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