Heimat Mars: Roman (German Edition)
schneller, und meine Augen füllen sich mit Tränen.
Meine Erinnerung besteht aus einer Serie plastisch wirkender Standbilder: Da ist das Durcheinander beim Zoll auf der Station Peace III, als Passagiere von zwei Überfahrten sich in zwei Schlangen anstellen, die durch winzige rote Lämpchen voneinander abgegrenzt sind.
Orianna und ich, wie wir uns rasch voneinander verabschieden und unsere persönlichen Kennziffern austauschen (meine sind mir gerade von der Erde zugeteilt worden, Orianna hat auch neue, für die keine Einschränkungen mehr gelten, weil sie jetzt den Status einer Erwachsenen erworben hat). Wie wir einander versprechen, uns zu melden, sobald wir irgendwo sesshaft geworden sind, wie lange das auch dauern mag.
Wie ich Alice aus der Nische der Tuamotu hole und persönlich transportiere. Dem Zollbeamten versichere ich, dass sie keine Software enthält, die das Weltnetzgesetz aus dem Jahre 2079 verletzt. Unter Verweis auf die diplomatische Immunität erhebe ich Einspruch dagegen, dass die für Denker zuständige Kontrollbehörde Alice auf Software untersucht, von der wir womöglich nichts wissen.
Wie wir als Diplomaten unsere Unbedenklichkeitsbescheinigung, abgedeckt durch die Autorität der Vereinigten Staaten, erhalten und den Gang durchqueren, der zum Gate Richtung Erde führt (hier hängen lauter Kunstwerke, die Kinder unseres Heimatplaneten geschaffen haben).
Wie wir durch die Luke in die Raumfähre steigen und unsere Sitze zusammen mit sechzig weiteren Passagieren einnehmen. Zehn Minuten lang starren wir die direkte Nahaufnahme von der Erde an, dann legen wir von der Plattform ab, tauchen hinunter in die Atmosphäre, und als ich das Fenster neben meinem Sitz berühre, merke ich, wie heiß es ist.
Wie der dicke Luftstrom uns so schüttelt, dass ich mich an den Sitzlehnen festklammern muss.
Das rote Karnickel kehrt nach Hause zurück. Mir klopft das Herz, die Achselhöhlen werden mir feucht vor Erwartung und einer ganz besonderen Angst: Würde ich mich als würdig erweisen? Konnte die Erde mich, die ich nicht bei ihr zu Hause geboren war, überhaupt in ihr Herz schließen?
Der strahlend schöne Sonnenuntergang ist mit seinen Rot- und Orangetönen wie ein Bogen, wie eine Kette, die sich um die schönen blauweißen Schultern der Erde legt. Wir sehen ihn durch grellrote Blitze, als wir hinunterstoßen, abbremsen und weiter absteigen. Unser Ziel ist ein großer künstlicher See in der Nähe von Arlington im alten Bundesstaat Virginia.
Dicker weißer Dampf wallte auf, als wir uns sanft auf den Rücken drehten. So mussten sich die ersten Astronauten gedreht haben, als sie auf ihre Bergung warteten. Vollautomatisierte Schlepper, so groß wie die Tuamotu, schwammen auf dem sich kräuselnden Wasser … WASSER! So viel Wasser! Die Schlepper nahmen unsere Raumfähre vorsichtig in den Zangengriff und schoben uns auf die Terminals am Ufer zu. Weitere Shuttles landeten neben uns. Manche kamen vom Mond, andere von Raumstationen. Sie warfen große Wolken von Gischt und Dampf auf, als sie mit ihren Rückstoßdüsen, die den Aufprall dämpften, in dem riesigen Becken landeten.
Allen hielt meine Hand, ich hielt seine fest umklammert. Das gemeinsame Staunen und die nicht unerhebliche Angst verbanden uns wie Bruder und Schwester. Durch den Gang von uns getrennt, starrte Bithras grimmig und in Gedanken versunken vor sich hin. Neben ihm saß eine gut verpackte und in ihren Aktivitäten eingeschränkte Alice.
Jetzt fing unsere Arbeit erst richtig an.
Wir waren nicht nur Marsianer, nicht nur rote Karnickel auf einer sagenhaften Vergnügungsreise. Wir waren Symbole des Mars. Wir würden eine Zeitlang berühmt und von der Begeisterung der Erdenbürger für Besucher vom Mars umgeben sein. Hartgesottene Siedler, die in die Zivilisation zurückkehrten und dem Kongress der Vereinigten Staaten eine Botschaft übermittelten. Angesichts von zehntausend LitVid-Befragungen würden wir nur lächeln und den Mund halten. Auf lächerliche Fragen wie: Wie fühlt man sich denn so, wenn man heimkehrt?, würden wir charmante Antworten geben. Denn so lächerlich waren diese Fragen eigentlich gar nicht: Zwar war der Mars meine wirkliche Heimat, und in dieser wunderbaren, seltsamen Umgebung vermisste ich ihn bereits, aber …
Ich kannte auch die Erde.
Nachdem wir das Shuttle verlassen hatten, installierten wir Alice auf einem gemieteten Wägelchen, das neben uns her zuckelte.
Wir entschieden uns fast alle dafür, zu Fuß über die
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