Heimat Mars: Roman (German Edition)
schnippisch. »Ist mir doch egal.«
»Auf dem Mars blühen die Bäume auch«, erinnerte er mich vorwurfsvoll. »Warum sollen wir die hier anstaunen?«
»Weil es auf dem ganzen Mars keinen Baum gibt, der unter freiem Himmel steht und seine Äste zur Sonne reckt«, gab ich zurück.
Die Sonne wärmte unsere nackten Arme und Gesichter, der Wind wehte sanft und kühl, und die Temperatur änderte sich ständig. Trotz all der verdammten Politik, trotz aller Zufälligkeiten meiner Geburt konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass ich die Erde liebte – und sie mich.
Der Tag war wunderschön. Ich fühlte mich wunderbar. Allen und ich flirteten, aber nur zum Spaß. In einem Straßencafé bestellten wir Kaffee, aßen zeitig zu Mittag, gingen zum Washington Monument, stiegen die langgestreckte Treppe hoch (ich beachtete die stechenden Schmerzen in den Beinen gar nicht) und wieder hinunter und liefen weiter. Als wir am Teich vorbeispazierten, in dem sich alles spiegelte, hielten wir kurz an und beobachteten die Jogger, Mutanten, die wie Windhunde an uns vorbeisausten.
Wir sahen uns auf Schirme projizierte Geschichtslektionen an, kletterten die Stufen zum Lincoln-Denkmal hoch und blieben vor der riesigen Statue Abraham Lincolns stehen. Ich betrachtete sein trauriges, müdes Gesicht und seine knorrigen Hände und merkte zu meinem Erstaunen, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ich las die Worte, die ihn einrahmten, vom Bürgerkrieg inspirierte Worte. Er hatte diesen Bürgerkrieg bewusst geführt und wurde letztendlich dessen Opfer. Die Völker fressen ihre Führer, dachte ich. Der König muss sterben.
Allen sah das anders. »Er hat dem amerikanischen Süden den Anschluss aufgezwungen«, sagte er. »In politischer Hinsicht ist er mehr Erdenbürger der Gegenwart, als mir lieb ist.«
»Aber der Mars hat keine Sklaven«, rief ich ihm ins Gedächtnis.
»Nimm’s mir nicht übel«, sagte er. »Ich hab’s schon immer mit den Unterdrückten gehalten.«
Anschließend machten wir uns auf den Rückweg, gingen am spiegelblanken Teich entlang und beobachteten den Sonnenuntergang.
»Was würde Lincoln wohl von den roten Karnickeln halten?«, fragte Allen.
»Was würde Lincoln wohl von den Vereinigten Staaten halten?«, erwiderte ich.
Trotz mancher Probleme mit meiner Bichemie – wir hatten sie eindeutig überstrapaziert – war ich übermütig. Dazu trugen das Wetter, die offene Architektur und die ganze Geschichte bei.
Wir kehrten zu unserer Wabe zurück und nahmen gemeinsam mit Bithras im Hauptrestaurant des Hotels unser Abendessen ein. Das Essen war hier sogar noch feiner als an Bord der Tuamotu. Die meisten Speisen waren frisch, nicht Nano. Ich überlegte, was den Unterschied im Geschmack wohl ausmachte. Schließlich kam ich darauf: »Irgendwie schmeckt’s moderig«, sagte ich über die weiße Leinentischdecke und die silbernen Leuchter hinweg zu Bithras und Allen.
»Verwest«, bestätigte Allen. »Ist nicht lange her, da hat’s noch gelebt.«
Bithras hustete. »Das reicht«, sagte er.
Allen und ich lächelten einander wie Verschwörer zu. »Wir sollten uns wohl nicht wie Hinterwäldler aufführen«, sagte Allen.
»Ich führe mich so auf, wie mir gerade zumute ist«, stellte Bithras fest, aber er war nicht sauer. Er gab nur eine Tatsache bekannt. »Der Wein ist allerdings gut.« Er hob sein Glas. »Auf die roten Karnickel außerhalb ihrer Jagdgründe.«
Wir prosteten einander zu.
Auf dem Rückweg zur Suite hakte Bithras mich unter, als wir aus dem Fahrstuhl traten. Er zog mich eng an sich. Allen sah das und hakte mich ebenfalls ein, er nahm meinen anderen Arm. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, ich werde von zwei begattungswütigen Rüden bedrängt. Aber dann merkte ich, warum Allen das tat.
Bithras kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und ließ meinen Arm los. Gleich darauf ließ mich auch Allen los, ich warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Bithras tat so, als sei nichts geschehen. Und es war ja auch wirklich nichts passiert. Der Abend war zu schön gewesen, um an etwas Böses zu denken.
»Ich lebe schon seit siebenundzwanzig Jahren hier«, erzählte uns Miriam Jaffrey, als sie uns in ihre Wohnung einlud. »Mein Mann wurde vor zehn Jahren Eloi. Ich glaube, allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, dass er auf dem Mars lebt … Hier bin ich also, eine Marsianerin auf der Erde, während er als früherer Erdenbürger auf dem Mars lebt.« Auf ihr Angebot hin nahmen Bithras und Allen im
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