Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Publikum 1915 eine Art Geisterbahn namens »Dante’s Inferno« als Schnellkurs in Kulturgeschichte.
Erfolgreiche Präsentations- und Unterhaltungsformen fanden auf späteren Weltausstellungen fast zwangsläufig weiterentwickelte Nachfolger. Im Rahmen der französischen Kolonialausstellung 1889 gab es eine komplette Siedlung aus Neukaledonien in der Südsee zu besichtigen. Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten die »ethnischen Dörfer« zum Standardprogramm auch der großen Völkerschauen. Zusammen mit ergänzenden Darbietungen, darunter häufig Arbeitsvorgängen und Tänzen, wurden sie zum Prototyp der szenischen Präsentation fremder Kultur.
Eine Kontinuität früherer Weltausstellungen zu heutigen Formen des Edutainment zeigt sich nicht nur in den Methoden der Präsentation. Auch bei den Themen und Zielen gibt es Dauerbrenner. Die Polarität zwischen der Vielfalt der Länder und den menschlichen Universalien hat nie an Faszination eingebüßt. Beispiel einer durchgängigen Kombination von Präsentationsweise und Inhalt ist die kontrastverstärkende Darstellung anderer Lebensweisen. Diese Formen unterhaltender Bildung haben auf die ehemaligen Kolonien zurückgewirkt, und didaktisch ähnliche Szenarien finden sich weltweit in Schulbüchern und Museen. Auch wenn Weltausstellungen heute solche Fremddarstellungen abmildern und versuchen, politisch korrekter daherzukommen, sind Exotisierung und Orientalisierung nach wie vor verbreitet. Mittlerweile zeigen nichtwestliche Kulturen ihr Selbstbewusstsein zunehmend, indem sie sich selbst exotisch darstellen. Beispiele für ein solches Othering fanden sich auf der Expo 2000 bei afrikanischen und pazifischen Ländern.
Disneyland am Äquator
Es ist 1989. Mit meiner Familie besuche ich den Taman Mini . Der Erholungspark südwestlich von Jakarta ist eine gute Adresse, wenn man dem Moloch entfliehen will. Genau das tun jedes Wochenende viele Bewohner der Hauptstadt und eine Handvoll Touristen. Wir haben Stunden gebraucht, um mit dem klapprigen Taxi aus der Stadt herauszukommen. Jetzt genießen wir die frische Luft, auch wenn es knallheiß ist. Wir gehen durch ein großes Tor und stehen vor einem gewaltigen Bau aus Beton, der im Stil der Paläste gebaut ist, die wir aus den Sultansstädten Javas kennen. Ein riesiges Pultdach schützt den Innenbereich vor der Sonne. Ein anderes Gebäude sieht aus wie eine überdimensionale Kaugummiblase. Es ist ein IMAX-Kino mit der größten Leinwand Südostasiens. In der Entfernung gleitet eine Schwebebahn vorbei. Am Horizont erblicken wir eine große Moschee und weitere Gebäude in einer verspielten Fantasiearchitektur.
Bei dem Traumwetter haben wir keine Lust auf Multivisionsschauen, wir wollen den Park erkunden. Auf einer Informationstafel lesen wir, dass er mit vollem Namen Taman Mini Indonesia Indah heißt, in etwa »Garten des schönen Indonesien in Miniatur«. Dieser Minipark ist aber so groß, dass wir ihn schon aus dem Flugzeug beim Anflug auf Jakarta gesehen haben. Für die 100 Hektar braucht man wirklich eine Orientierungskarte. Schon der erste Blick auf den schematischen Plan zeigt, dass der zentrale Bereich des Parks entsprechend der Landkarte Indonesiens gestaltet ist. Der Staat mit seinen kontinentalen Ausmaßen wird als Landschaft mit Inseln und Seen dargestellt. Die grasbewachsenen Inseln sind mit Brücken verbunden, und so können die Indonesier ihr riesiges Land an einem langen Nachmittag erwandern.
Um die Miniaturwiedergabe des Landes herum ist für jede Provinz ein eigener Bereich abgegrenzt. Jeden dominiert ein großes traditionelles Haus, das für eine Kultur steht und mit typischen Gegenständen ausgestattet ist. Zu festen Zeiten werden lokaltypische Musik und Tänze aufgeführt. Das Motto Indonesiens lautet »Einheit in der Vielfalt«. Dabei steht die Einheit für die Nation und die Vielfalt für die vielen Kulturen des Landes. Die Nation ist aber noch gar keine kulturelle Einheit, es geht um Nation Building .
Indonesien ist, wie gesagt, nicht einfach irgendein Vielvölkerstaat, das Land hat mehr ethnische Gruppen als das Jahr Tage. Es gibt Hunderte Sprachen, nicht etwa Dialekte, sondern eigenständige, echte Sprachen. Diese Vielfalt wird von der Regierung gefürchtet. Sind größere Gruppen unzufrieden, könnten sie auf die Idee kommen, einen eigenen Staat aufzumachen. Wie auf Sri Lanka. Das Land würde auseinanderfallen. Deshalb wird ethnische Eigenständigkeit in Indonesien heruntergespielt.
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