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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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zurück und blättere stundenlang in den Prachtbänden, randvoll mit Bildern der Kulturen der Welt. Als Life 1972 einen stillen Tod stirbt, bin ich betrübt. Die 60er Jahre sind endgültig zu Ende. Das Fernsehen ist stärker geworden, aber die Vision bleibt: Grundthemen der Menschheit längs durch die Geschichte und quer durch die Kulturen zu präsentieren.
    The Family of Man
    In den Life -Heften hatte ich immer wieder Arbeiten von weltberühmten Fotografen gesehen. Darunter waren bekannte Kriegsfotografen wie Robert Capa, der 1954 in Indochina bei der Arbeit umkam, und Henri Huet, der mit seinen Vietnambildern das Denken über Kriege veränderte. Besonders aufgefallen waren mir immer wieder eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen aus aller Welt, unter denen wenig mehr stand als: »Photo E. Steichen«. Edward Steichen hatte als Fotoreporter die amerikanischen Truppen in beiden Weltkriegen begleitet. Er arbeitete für die führenden Fotoagenturen und die besten Zeitschriften. Seit 1947 war er Direktor der legendären Fotoabteilung des Museum of Modern Art. In New York konnte er 1948 die Erklärung der Menschenrechte hautnah miterleben. Die UN-Charta formulierte die ersten universalen Rechte, die für alle Menschen unabhängig von Hautfarbe und Kultur gelten.
    1951 ist Steichen deprimiert, wie wenig Antikriegsbilder bewirken. Er hat bereits Fotoausstellungen zu den Schrecken der Weltkriege gemacht. Nun ist gerade der Koreakrieg ausgebrochen. Die großen Blöcke stehen sich unversöhnlich im Kalten Krieg gegenüber, die Gefahr eines Atomangriffs rückt immer wieder bedrohlich nah. Da kommt Steichen eine geniale Idee. Statt der Gräuel will er die Einheit der Menschheit in einer großen Fotoausstellung dokumentieren. Als einer der Ersten hat er begriffen, dass die Fotografie als Sprache quer durch die Kulturen verstanden wird. Also konzipiert er für das MoMA eine Schau unter dem Titel »The Family of Man«. So global wie der Ansatz werden auch Planung und Durchführung. Steichen hat eine Vision und einen langen Atem. Allein das Sichten der Bilder dauert vier Jahre. Aus zwei Millionen eingesandter Fotos werden zunächst 10000 ausgewählt.
    Die Ausstellung öffnet ihre Tore im Januar 1955 und ist sofort eine Sensation. Zu sehen sind 503 Schwarz-Weiß-Aufnahmen von 273 Amateur- und Berufsfotografen aus 68 Ländern der Welt. Geordnet ist die Schau nach 37 universellen Themen der Menschheit, unter anderem Arbeit, Spiel, Familie, Geburt, Kinder, Alter und Tod, Lernen und Wissen, Krieg und Frieden. Steichens Ziel war, einen »Spiegel der grundlegenden Übereinstimmung der menschlichen Gattung« zu schaffen. Er wollte zeigen, wie sich die Menschen gleichen, trotz aller Unterschiede in Klasse, Geschlecht, Alter, Aussehen und Kultur. Und er wollte zeigen, dass alle Kulturen mit den gleichen Grundfragen konfrontiert sind. Gegen Gewalt, Zerstörung und Hass setzt er auf Zuneigung und Mitmenschlichkeit. Das Leitmotiv: Im Kern ist der Mensch gut.
    Steichen hatte die Exponate vor allem danach ausgesucht, ob sie seine humanistische Aussage plastisch rüberbrachten. Die Fotos wurden nicht gerahmt, sondern in einer sehr modernen und anregenden Weise gehängt. Sie schwebten an unsichtbaren Fäden im freien Raum oder waren auf Plexiglaswänden angebracht. Das erlaubte den Durchblick zu anderen Bildern, betonte die Vielfalt und provozierte Einsichten. Jede Abteilung war angereichert mit Sprichwörtern, Weisheiten großer Religionsstifter oder Stellen aus dem Alten Testament. Auf den Schrifttafeln prangten Zitate wie: »Die Erde ist eine Mutter, die niemals vergeht« oder »Iss Brot und Salz und sprich die Wahrheit«. Unter archetypisch wirkenden Bildern von Menschenpaaren fand sich der Satz: »Wir zwei bilden eine Vielfalt«.
    Die Schau schlägt ein wie eine Bombe. Ihr Erfolg ist so global wie das Konzept. »The Family of Man« wird als Wanderausstellung zuerst in Tokio, Berlin, Paris und Amsterdam gezeigt, in Deutschland unter dem Titel »Wir alle«, in Frankreich als »La Grande Famille des Hommes«, also »Die große Familie der Menschen«. In Form von acht travelling editions tourt die Schau zwischen 1955 und 1961 durch die gesamten USA und weitere 37 Länder, später sogar nach Moskau, Jahre vor der Entspannungspolitik. Dem Kalten Krieg setzt die Ausstellung die Idee der Menschheit als Einheit entgegen. Die Brüche, Gräben und Teilungen der Menschheit erscheinen als Oberfläche, als Zufallsprodukt, unter dem eine

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