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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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»Ich wollte eigentlich wissen, was du wirklich weißt.«
    »Mein Thema? Es ist mein Leben, worüber wir sprechen, und ich meine, es ist verdammt wichtig, über die Prinzipien des Universums Bescheid zu wissen. Als ich in deinem Alter war, hätte ich sonst etwas darum gegeben, wenn ich darüber mehr gewußt hätte. Wie dem auch sei: Das einzige, worüber ich dir nichts sagen kann, ist das Alter. Ich glaube einfach nicht an das Alter.«
    Er blieb hartnäckig. »Das glaube ich dir nicht. Sag mir jetzt, wie alt du bist!«
    »Ich habe mit dem Zählen schon seit langer Zeit aufgehört. Es war mir zu gefährlich.«
    »Gefährlich?« Er schien sich nicht besonders viel aus meiner selbstgestrickten Philosophie über das Universum zu machen, aber bei dem Thema ›Alter‹ zeigte er Interesse. Könnte ich bloß das Thema wechseln!
    »Zählen ist gefährlich«, erklärte ich ihm ganz ernsthaft. »Als Kind macht das Älterwerden Spaß. Das Leben besteht dann aus Partys und Geschenken und Geburtstagen und Schokoladenkuchen. Aber sei wachsam, Dickie: Jedes Jahr in dem Kuchen hat einen Haken, und wenn du genügend Haken geschluckt hast, hängst du plötzlich an einer Idee, und von dieser Idee kommst du dann dein Leben lang nicht mehr los.«
    »Wirklich?« fragte er, und ich spürte, daß er meine Worte für einen Witz hielt.
    »Wie kommen Kinder zu Tode?« fragte ich ihn.
    »Sie stürzen von Bäumen«, erwiderte er. »Sie werden von Autos überfahren, in Höhlen verschüttet…«
    »Sehr richtig«, hakte ich ein und sah ihn durchdringend an. »Wie lautet dein Nachname?«
    Er legte die Stirn in Falten, als ob er die Frage nicht verstanden hätte: »Bach.«
    »Falsch«, sagte ich sofort. »Das ist dein zweiter Nachname. Dein wirklicher Nachname in dieser Kultur ist eine Nummer, eine bloße Zahl, und diese Zahl ist dein Alter. Du bist Dickie Bach, und du bist…«
    »… Dickie Bach, neun.«
    »Sehr richtig«, sagte ich zu ihm. »Und Menschen mit kleinen Zahlen, also niedrigen Nachnamen-Nummern, werden fast immer von unglücklichen Konstellationen dahingerafft – sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Jimmy Merkle zum Beispiel, sechs Jahre alt, hielt sich an einem ganzen Arm voll gasgefüllter Luftballons fest, der Wind erfaßte ihn und wehte ihn über das Meer, und man hat von ihm nie wieder etwas gesehen. Annie Fisher, vierzehn, wurde plötzlich von einem versunkenen Schaufelradbagger, der das Meer hatte tiefer graben wollen, in die Tiefe gezogen. Dickie Bach, zwölf Jahre alt, sprengte sich selbst in die Luft, als er eines Tages mit einer selbstgebastelten Rakete zum Mond fliegen wollte.«
    Er nickte mir zu. Er wußte wohl nicht genau, worauf ich hinauswollte. Aber er blieb neugierig.
    Ich fuhr mit meinem Bericht fort: »Aber Menschen mit hohen Nachnamen-Nummern sterben an unvermeidlichen Konstellationen, und es gibt kein Entkommen.
    Mr. James Merkle, vierundachtzig Jahre alt, hat seinen Kampf gegen die Kreislauf schwäche letzte Woche verloren. Mrs. Anne Fisher-Stovall, siebenundneunzig, hatte ein zu labiles Herz für ihr Alter. Und Mr. Richard Bach, einhundertundfünfundvierzig Jahre alt, starb eines Tages unerwartet an hoffnungsloser Überalterung.«
    Bei meinem letzten Beispiel lachte er laut auf. 145 Jahre alt? Das war unmöglich. »Und weiter?« fragte er. »Was ist nicht in Ordnung mit Geburtstagen?«
    »Ganz einfach«, antwortete ich ihm. »Wenn die Zahl klein ist, weißt du genau, daß du noch nicht sterben mußt. Aber wenn die Zahl groß ist…«
    »… dann mußt du sterben.«
    »Hohe Nachnamen-Nummern bedeuten baldigen Tod«, sagte ich zu ihm und grinste. Aber dann wurde ich wieder ernst. »Man nennt es ›gutgläubig‹, wenn du einer Sache zustimmst, bevor du richtig darüber nachgedacht hast. Wenn du einer Sache hinterherläufst, nur weil man es von dir erwartet. Das passiert dir tausendfach, wenn du nicht aufpaßt.«
    » Und gutgläubig zu sein ist schlecht?« fragte er und sah mich nachdenklich an.
    »Nicht in jedem Fall. Vielleicht ist nur der Weg schlecht, der zu ihm führt, aber der Glaube ist richtig. Wir müssen irgendeine Form von allgemeinen Werten akzeptieren, wenn wir in einem Gemeinwesen leben wollen, sonst schweben wir im luftleeren Raum. Und irgendwann müssen wir anfangen, etwas zu glauben, sonst werden wir immer älter und können nicht sterben.«
    Das Thema ›Sterben‹ mochte er ganz offensichtlich nicht. »Ich mag gern Geburtstagskuchen«, sagte er schnell.
    »Eine Kerze für jedes Jahr.

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