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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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Zahlen waren unten, die hohen weiter oben angezeichnet. Der halbe Tank war voll Wasser, es schimmerte grünlich wie ein Weiher und blau von der Luft und vom Himmel und ruhte an der Ziffer 400.
    Roy hatte schon hier gestanden und die Zahl gesehen, Bobby hatte an der gleichen Stelle verweilt, an der ich jetzt in dieser Sekunde stand. Ich weiß genau, daß ich in wenigen Augenblicken sterben werde, weil gleich ein Erdbeben losbricht und mich herunterschüttelt oder ein Orkan mich von der Leiter fegt, aber dann bin ich so tapfer gewesen wie Roy und Bobby.
    Alles, was ich jetzt tun muß, ist, die Leiter wieder hinunterzusteigen. Aber schon jetzt steht fest, daß ich GESIEGT habe: Ich habe GESIEGT !
    Ich zwang mich zu einem todesverachtenden Grinsen und klebte gleichzeitig in der luftigen Höhe wie ein verhungerter Blutegel. Sie können NIE wieder von mir sagen, daß ich feige bin.
    Immer schön langsam, ich drehte meinen Kopf weg vom Wasserturm, weg vom Windrad.
    Während ich auf der Leiter herumgeklettert war, hatte jemand die Welt verändert. Alles war auf einmal viel kleiner geworden, unser Haus schien nicht größer als eine Puppenstube, die Kakteen waren keine stachligen Monster mehr, sondern kleine harmlose Nadelkissen, die Esel im Korral sanft wie liebliche Eichhörnchen. Die Schnellstraße befand sich in der Nähe unseres Hauses, auf der einen Seite ging es nach Bisbee, auf der anderen Seite lag Phoenix, noch hundert Meilen entfernt. Wenn ich doch fliegen könnte.
    Da waren die Berge, und obwohl ich so hoch geklettert war, lagen sie noch viel höher. Warte ab, eines Tages, Dickie, flüsterten sie mir zu. Wenn du auf uns heruntersiehst, wirst du dann auch denken, daß die Welt ein Spielzeug ist? Und wie willst du dann damit spielen, wenn sie es wirklich ist?
    Ich schlotterte am ganzen Körper, eisiger Schrecken bei jeder kleinsten Bewegung und jeder einzelnen Sprosse, unkontrolliertes Zittern durch Mark und Bein. Ich werde fallen und sterben, bevor ich sicher am Boden angekommen bin, und dann habe ich die Berge nicht von oben gesehen und war noch nie…
    Die Erde hatte mich wieder, und alles sah ganz anders aus. Es war herrlich! Wie kann das Leben wunderbar sein, wenn man solchen Ruhm in der Luft erworben und wieder festen Boden unter den Füßen hat!

15
     
    Dickie sah auf mich herab, wie ich auf dem Boden des ausgetrockneten Sees hockte. Eine gewisse Erleichterung war in seinem Gesicht zu erkennen. Eine Erinnerung war gelüftet, Tausende lagen noch versteckt.
    »Wann war das?« fragte ich verwirrt, noch ganz benommen von dem, was er mir gezeigt hatte.
    »Wir waren sieben Jahre alt. Du hast dich in einen Erwachsenen verwandelt und bist abgehauen, als ich neun war und Bobby starb. Als das geschah, interessierte dich nur noch die Zukunft, du wolltest schnell groß werden und weggehen.« Er sagte es nicht anklagend, er erinnerte mich nur an das, was ich ohnehin noch wußte.
    »Du hast alle Erinnerungen, die du nicht wolltest, hier zurückgelassen. Hier sind sie, jede einzeln für sich, aber sie haben für mich keinen Sinn mehr. Ich kann sie ohne dich nicht mehr verstehen.« Seine Stimme erstickte und wurde so schwach, daß ich sie in der Stille der Wüste kaum verstehen konnte. »Du mußt mir erklären, was sie zu bedeuten haben.«
    Schweigend sah er mich an, noch von den Geheimnissen beunruhigt, die mich unbarmherzig durch meine Kindheit gejagt hatten. Bin ich der einzige, der zwischen Ihm und diesem Zeitsprung zu vermitteln fähig ist, überlegte ich mir, der einzige, der ihn von seiner Pein erlösen kann? Der einzige Erretter, den er kennt?
    »Erzähl es mir!« sagte er hastig zu mir. »Ich muß es wissen. Ich kann mich an alles erinnern, und jede Kleinigkeit bedeutet etwas Wichtiges. Aber ich kann sie nicht entziffern.«
    Anstatt auf seinen Schmerz einzugehen, runzelte ich die Stirn. »Selbstverständlich, Dickie. Aber nicht immer bedeutet irgend etwas sehr viel.«
    »Aber es sind für dich keine leeren Erinnerungen!« Er versuchte verzweifelt, an einer Glaswand hochzuklettern, die mit dem Öl von ungeklärten Fragen eingeschmiert war. »Der Wasserturm, Richard. Du weißt, was er bedeutet.«
    Ich erhob mich vom Boden und legte meine Hand auf seine Schulter. »Ich weiß, was er für mich bedeutet, Dickie. Aber der Wasserturm hat auch eine Million anderer Bedeutungen, die ich gar nicht interpretieren kann und die für mich nicht wirklich bedeutsam sind. Im Leben ist eine Sache nur dann von Belang, wenn sie unser

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