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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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möchtest. Zieh ihnen den Karren auf den Berg, und du bist diejenige, die am Ende ein krankes Herz hat. Du schirmtest mich vor Bobbys Tod ab, schontest meine Gefühle, und fünfzig Jahre mußten vergehen, bis ich mich ihnen stellen konnte. Wie konntest du dich so irren, und warum liebe ich dich immer noch?
    »Ich bin froh, daß sie mir nicht gesagt hat, Bobby würde sterben«, erwiderte ich. »Ich kann mir nicht vorstellen, was aus mir geworden wäre, wenn sie es getan hätte.«
    »Ein Missionar?« fragte er.
    »Ich ein Missionar? Unmöglich!«
    »Könntest du heute ein Missionar sein?« Er fragte das in einem Ton, als ob er hoffte, ich wollte meine Mutter postum trösten.
    Ich lachte laut. »Er ist der Richter, der Gott für mich tötete, Dickie! Erinnerst du dich nicht?«
    »Nein.«
    Natürlich, dachte ich. Er ist der Bewahrer des Vergessenen, und ich erinnere mich daran, als ob es heute geschehen wäre.
    »Nachdem Bobby gestorben war«, sagte ich, »kündigte sich in den naiven Fragen, die ich dem inneren Priester stellte, bereits die Zerstörung des Gottes-wie-ich-Ihn-kannte an, und zum ersten Mal wurde meine eigene Wahrheit kurz sichtbar.«
    Dickie konnte sich nicht vorstellen, daß ich mich an irgend etwas Bedeutendes in meiner Kindheit erinnerte. »Welcher Priester? Was geschah?«
    »Ich werde dir zeigen, was geschah«, sagte ich. »Wenn ich hier stehe, bin ich es. Wenn ich dort stehe, werde ich der Innere Priester sein. Okay?«
    Er lächelte, er rechnete wohl mit irgendeinem Verwirrspiel auf dem Berg.
    »Ist Gott allmächtig?« fragte ich, in der Rolle des kleinen Kindes.
    Ich machte einen Schritt nach vorn, drehte mich um und blickte auf das Kind, das ich einst gewesen. Ich war jetzt ein netter Priester, der ein dunkelgrünes Gewand anhatte und um den Hals eine Kette mit dem Symbol seiner Firma trug. »Selbstverständlich! Sonst wäre Er doch nicht Gott, mein Sohn.«
    »Liebt uns Gott?«
    »Wie kannst du nur fragen? Gott liebt uns, er liebt jeden!«
    »Warum kommen Menschen, die Gott liebt, durch Kriege und Grausamkeit, durch sinnloses Morden und dumme Unfälle ums Leben? Warum erleiden unschuldige Kinder gnadenlos den Tod? Warum ist mein Bruder gestorben?«
    Jetzt sprach der Priester mit gedämpfter Stimme, mit einer Maske der Ignoranz: »Manches entzieht sich unserer Kenntnis, mein Kind. Der Herr schickt denen, die Er am meisten liebt, die härteste Unbill. Er muß sich gewiß sein, daß du dich um Ihn mehr sorgst als um deinen sterblichen Bruder. Glaube und vertraue Gott dem Allmächtigen…«
    »…B IST DU DENN ÜBERGESCHNAPPT ? G LAUBST DU , ICH SEI EIN NEUN JAHRE ALTER I DIOT ? G IB ENTWEDER ZU , DASS G OTT GENAUSO WENIG ALLMÄCHTIG IST WIE ICH UND DASS DIE K UMPELS VERDAMMT HILFLOS SIND GEGEN DAS B ÖSE , ODER GESTEH EIN , DASS DAS , WAS G OTT L IEBE NENNT , IN W IRKLICHKEIT DEM TEUFLISCHEN , SADISTISCHEN H ASS DES BLUTRÜNSTIGSTEN M ASSENMÖRDERS GLEICHKOMMT !«
    »Okay«, sagte der Pater plötzlich zuckersüß. »Ich habe unrecht, du hast recht. Ich wollte dir Trost spenden, aber du sollst die Wahrheit erfahren. Wie so viele Kinder hast du gerade die organisierte Religion zerstört, Mister Ungläubiger Thomas. Du weißt, ich kann
    diese Fragen nicht beantworten, kein Priester kann das. Und nun mußt du dir deine Religion selbst zusammenzimmern.«
    »Weshalb?« fragte ich. »Ich brauche keine Religion. Ich will ohne sie zurechtkommen.«
    »Und die Frage nach dem Sinn unseres Daseins ungelöst lassen?«
    »Sie ungelöst zu lassen«, erläuterte ich Dickie im Off, »hätte bedeutet, daß es etwas gab, was ich nicht begriff. Und ich wußte: Wenn ich genügend wissen will, gibt es nichts, was ich nicht begreifen kann. So ungefähr könnte der erste Lehrsatz meiner neuen Religion aussehen.« Ich kehrte zu meinem kleinen Spiel zurück. »Es wird einfach sein«, erwiderte ich. »Jedes Kind kann sich etwas Besseres vorstellen als die Welt als ein Schlachthaus und einen Gott mit Messern in den Händen.«
    »Dafür ist ein Preis zu zahlen«, warnte der Priester. »Zimmere dir deine eigene Theologie zusammen, und du wirst dich von allen anderen unterscheiden…«
    »Das ist kein allzu hoher Preis«, spottete ich, »im Gegenteil, das ist eine Belohnung! Außerdem glaubt doch niemand wirklich an Gott-den-Machtlosen oder an Gott-den-Killer. Es wird leicht sein.«
    »Mein Innerer Priester lacht darüber — ein überlegenes Lachen – und verschwindet.«
    Dickie hatte das alles gespannt mit verfolgt. »Sobald er

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