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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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gegangen war, wurde ich nervös«, sagte ich. »War mein kleiner Gefühlsausbruch etwa doch zu heftig gewesen? Während der folgenden zehn Jahre verhielt ich mich wieder ruhig und besonnen. Es dauerte solange, um die Stücke zusammenzufügen, doch das Fundament war fertig. Dank meines Bruders hatte ich Gott wiedererschaffen. Hilf mir, Dickie, zeig mir, wo ich mich irre.«
    Er nickte und war ganz darauf erpicht, Teil einer selbstgemachten Religion zu sein.
    »Nimm an, es existiere ein allmächtiger Gott, der die Sterblichen und alle ihre Mühen und Nöte auf der Erde sieht«, sagte ich langsam.
    Er nickte.
    »Dann müßte doch Gott für alle Katastrophen und Tragödien, für alle Schrecken und Tode, von denen die Menschheit heimgesucht wird, verantwortlich sein, Dickie.«
    Er hob die Hand. »Gerade weil Gott unsere Mühsal sieht, ist Er für sie nicht verantwortlich.«
    »Überlege sorgfältig. Weil Er allmächtig ist. Das heißt, Er hat die Macht, dem Bösen Einhalt zu gebieten, wenn Er es will. Aber Er zieht es vor, das nicht zu tun. Indem Er erlaubt, daß es das Böse gibt, ist Er die Ursache dafür, daß es existiert.«
    Er dachte darüber nach. »Vielleicht…«, sagte er nachdenklich.
    »Wenn es so ist, daß die Unschuldigen weiterhin leiden und sterben müssen, so bedeutet das, daß diese Tatsache einem allmächtigen Gott einfach gleichgültig ist. Er ist unsagbar grausam.«
    Dickie hob erneut seine Hand und wartete eine Weile, ohne eine Frage zu stellen. »Vielleicht… «
    »Du bist dir nicht sicher«, sagte ich.
    »Es mag sonderbar klingen, aber ich kann nicht erkennen, warum das falsch sein soll.«
    »Ich kann es auch nicht. Verändert sich denn für dich nicht die Welt bei dem Gedanken… an einen bösen, grausamen Gott?«
    »Und weiter?« fragte er.
    »Der nächste Punkt. Nimm an, es gibt einen Gott, der alle liebt, die Sterblichen sieht und ihre Mühen und Nöte auf der Erde kennt.«
    »Das klingt besser.«
    Ich nickte. »Dann muß aber dieser Gott voller Sorge mit ansehen, wie die Unschuldigen immer wieder unterdrückt und hingemordet werden, und zwar millionenfach, daß sie vergebens um Hilfe bitten, Jahrhundert für Jahrhundert…«
    Er hob die Hand. »Das nächste, was du sagst, wird sein: Weil die Unschuldigen leiden und sterben, hat unser Gott, der alle liebt, nicht die Macht, uns zu helfen.«
    »So ist es! Sag Bescheid, wenn du bereit bist, dir eine Frage stellen zu lassen.«
    Er wartete einen Augenblick und überdachte unsere Worte. Dann nickte er. »Okay, ich bin bereit. Stell mir deine Frage.«
    »Welcher Gott ist wirklich, Dickie?« fragte ich. »Der grausame oder der machtlose?«

25
     
    Er überlegte sehr lange, dann lachte er und schüttelte den Kopf. »Das ist keine Alternative! Ich glaube, wenn man nur die Wahl zwischen grausam und machtlos hat, dann gute Nacht, lieber Gott!«
    Während ich ihn beobachtete, wurde mir bewußt, wie ich vor vielen Jahren in dem Augenblick ausgesehen haben mußte, als ich das alles herausfand. »Diese Alternative ist keine Alternative«, entgegnete ich. »Weder der eine noch der andere existiert.«
    »Also nochmal von vorn,« bemerkte er, »war dann die Frage vielleicht falsch gestellt?«
    Ist mir auch soviel aufgefallen, als ich er war? »Gut! Was diese Alternative irreal macht, Dickie, ist folgende Frage: Nimm an, es gibt einen Gott, der die Sterblichen sieht und ihre Mühen und Nöte auf der Erde kennt. Du kannst die Sache drehen und wenden, wie ich es jahrelang getan habe, aber in dem Moment, wo du dir vorstellst, daß Gott uns als Sterbliche sieht, die sich in großer Bedrängnis befinden, hast du keine andere Möglichkeit, als zwischen dem einen oder anderen – zwischen grausam oder machtlos — zu wählen.«
    »Welche Möglichkeit bleibt sonst noch?« fragte er. »Daß es Gott nicht gibt?«
    »Wenn du davon ausgehst, daß die Raumzeit real ist… daß es immer eine Raumzeit gegeben hat und geben wird, dann gibt es entweder keinen Gott, oder du stehst vor der bereits erwähnten Alternative.«
    »Was ist, wenn ich nicht davon ausgehe, daß die Raumzeit real ist?«
    Ich hob einen Stein auf und schleuderte ihn flach über die Bergkuppe, so daß er weit unten am Abhang landete. Ich erinnerte mich, daß ich beschlossen hatte, nicht um des Widersprechens willen zu widersprechen.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Na, komm schon!« Er zog ein Grasbüschel heraus, an dem ein Klumpen Erde hing, und warf damit nach mir, ohne mich wirklich treffen zu wollen.

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