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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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nachts unter der Bettdecke, weinte in das Kopfkissen hinein. Bitte, Bobby, BITTE! Laß mich hier nicht allein. Du hast mir versprochen, mir den Weg zu weisen! Du hast es mir versprochen! Geh nicht fort! Ich weiß nicht, wie ich ohne meinen Bruder leben soll!
    Aber ich fand heraus, daß Weinen zu nichts führte. Gefühle ändern nichts an Tatsachen. Was einzig zählt, ist Wissen, und ich hatte noch eine Menge zu lernen.
    Ich sah unter dem Stichwort Tod im Lexikon nach: Dort standen nur trockene Definitionen.
    Ich schlug in der Enzyklopädie nach: Keine Antwort.
    Bobby war so ruhig und gelassen gewesen, dachte ich, so furchtlos. Es schien, als wäre er bewußt, mit offenen Augen in den Tod gegangen, als hätte er vorher geübt. Als es dann soweit war und sich die Tür öffnete, straffte er die Schultern und schritt, ohne noch einmal zurückzublicken, erhobenen Hauptes hindurch.
    Gut gemacht, Bruder, dachte ich, ich danke dir dafür, daß du mir den Weg gewiesen hast.
    Aber weißt du was, Bobby? Ich habe mich geändert, ich bin plötzlich ein Kerl geworden, einer der sich nicht unterkriegen läßt, und verdammt will ich sein, wenn ich sterbe, bevor ich weiß, warum ich gelebt habe.
    Der Junge, der aus Angst um seinen Bruder geweint hatte, existierte seit jenem Tag für mich nicht mehr, ich ließ ihn allein und lebte ohne ihn weiter.

24
     
    Dickie nahm mir die Grabtafel aus den Händen. »Sag mir bitte noch einmal, was das Wort Bedeutung heißt.«
    Ich schaute ihn verdutzt an. Eben war ich dank seiner noch einmal durch einen der schmerzlichsten Augenblicke meines Lebens gegangen, und jetzt gebärdete er sich plötzlich wie ein mir völlig gleichgültiger Fremder?
    »Danke. Du hast mir geholfen, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen«, sagte ich.
    »Du kennst die Antwort. Was heißt Bedeutung? «
    Ich wurde ganz ruhig und erklärte ihm: »Bedeutung ist für mich all das, was unser Denken verändert und damit auch unser Leben.«
    »Was bedeutet Bobbys Tod für dich?« Er rammte den Grabstein wieder in die Erde. Er fiel um, sobald er ihn losgelassen hatte. »Wie hat er dein Leben verändert?«
    »Ich habe keine Ahnung. Bis zum heutigen Tag hatte ich seinen Tod verdrängt und vergessen.«
    Er versuchte erneut, den Stein aufzustellen, doch als er wieder umfiel, ließ er ihn liegen.
    »Was bedeutet er für dich?«
    In dem Augenblick, als er fragte, wußte ich es. Als ich mich wieder an jenes Ereignis erinnerte, war das so, als ob zuvor ganz viele Baumstämme den Fluß gestaut hätten. Nun waren sie beseitigt, und das Wasser floß wieder schnell dahin.
    »Bobbys Tod bewirkte, daß ich zum ersten Mal in meinem Leben auf mich selbst angewiesen war. Ein halbes Jahrhundert lang war ich, so habe ich gedacht, immer auf mich selbst gestellt gewesen, die Erinnerungen an die Zeit davor hatte ich ausgelöscht. Irrtum! Als ich du war, versprach Bobby, Entdeckungen zu machen und das Lehrgeld im Leben für mich zu bezahlen. Er wollte das Schicksal mildern, mir alles erklären, damit mein Weg leicht wäre. Ich hätte nur meinem Bruder nachzueifern brauchen, und alles wäre gut gewesen.«
    Er saß ruhig im Gras, während ich auf und ab lief. »Von jenem Tag an wurde alles anders. Als Bobby starb, mußte sein Bruder rasch selbst auf den Zug aufspringen und lernen, von nun an sein eigener Pfadfinder zu sein.«
    Mit Spitzengeschwindigkeit flog ich über mein vergangenes Leben hinweg und sah nach unten. »Alles, was ich von jenem Augenblick an lernte, Dickie, war: Der einzelne hat die Macht, sein Schicksal zu ändern, die Macht der individuellen Entscheidung. Roy ging danach zur Armee, Dad blieb kühl und zurückhaltend, Mom ging in die Politik, ich lernte fliegen… Alle sagten: Vertraue auf dich selbst, erwarte niemals, daß dir irgend jemand sonst den Weg weist oder dich glücklich macht.«
    Er blickte zum fernen Horizont. »Mom und Dad denken nicht so.«
    »Stimmt. Sie dachten das Gegenteil. Mom, die Missionarin, die Sozialarbeiterin, die Stadtverordnete; Dad, der Geistliche, der Kaplan, der Chef des Roten Kreuzes. Sie lehrten uns ›Lebe für andere‹, und sie hatten unrecht, Dickie.«
    Seine Miene versteinerte. »Sag nicht, daß Mom unrecht hat«, brummte er. »Du kannst sagen, Richard, daß sie anders ist, aber sag nie wieder zu mir, Mom habe unrecht!«
    Wie sehr hatte ich meine Mutter geliebt, und wie wenig hatten mich ihre Werte berührt! Für andere zu leben, Mom, ist das Schlimmste, was du denen antun kannst, denen du helfen

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