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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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und mich weiß Gott wohin zu schaffen. Vielleicht führte mich mein Bruder an der Nase herum. Vielleicht wird man mich doch holen. Aber wenn er mir nichts erzählen will, will er mir nichts erzählen.
    Am nächsten Tag fand ich einen Beutel aus weichem Leder auf dem Schreibtisch in unserem Zimmer. Dieses Behältnis, das ich nie zuvor gesehen hatte, war so groß wie die Geldbörse eines Seeräubers…
    Als ich die Riemen löste und den Beutel öffnete, entdeckte ich kein Gold darin, sondern einen Götzen. Es war eine schön geschnitzte Figur aus Ebenholz, ein lachender Buddha, der die Arme über den Kopf erhoben hatte, die Handflächen nach oben gedreht, wobei sich die Fingerspitzen fast berührten. Was zum Teufel…
    Da waren Schritte zu hören. Bobby kam! Ich steckte die Figur rasch wieder in den Beutel, zog ihn zu, warf mich aufs Bett und schlug ein Buch auf: ›Raketen, Flugkörper und Raumfahrt‹ von Willy Ley.
    »Hi, Bobby.« Ich blickte kurz auf, als er eintrat, und setzte dann meine Lektüre fort.
    »Hi.«
    Ich las höchst aufmerksam und prägte mir ein, woran ich mich noch heute erinnere: Die Triebwerke von Feststoffraketen sind nicht mit Treibstoffmasse vollgestopft, sie sind um eine kegelförmige Brennkammer herum angeordnet. Je größer der Brennraum, um so größer die Schubkraft. Und wenn sie zu groß ist, dann explodiert die Rakete wahrscheinlich wie Dynamit, da wette ich: wumm!
    »Bis bald«, sagte mein Bruder, und schon war er fort. Er hatte sein Jackett und den Lederbeutel mitgenommen und fuhr mit Dad im Auto irgendwohin.
     
    *
     
    Zwei Wochen später brachte Dad meinen Bruder Bobby, der müde aussah, ins Krankenhaus. Angeblich war es nichts Ernstes. Eine weitere Woche später war er, ohne auf Wiedersehen gesagt zu haben, tot.
    Natürlich, dachte ich, der neun Jahre alte Sherlock Holmes aus der Baker Street: Das war das Geheimnis! Die langen und leisen Gespräche ließen nur einen Schluß zu: Alle, außer mir, hatten gewußt, daß Bobby sterben würde. Auf diese Weise ersparten sie mir den Schmerz.
    Der Buddha aus Ebenholz streckte fragend die Hände aus, und ich wußte nicht, ob mein Bruder die Antworten gefunden hatte.
    Er hätte mir davon erzählen können, ich wäre nicht traurig gewesen. Ich hätte ihn fragen können, wie es ist, wenn man stirbt. Tut es weh? Wohin gehst du, wenn du stirbst, Bobby? Stirbst du auch, wenn du nicht sterben willst? Besuchen Engel dich in deinem Schlaf? Ist das Sterben so einfach, wie man sagt? Hast du Angst?
    Ich glaube, Mom hat nicht geweint und Roy auch nicht und Dad sowieso nicht. Also weinte ich auch nicht. Niemand weinte, soweit ich weiß. Die einzige Veränderung war: Es war so schrecklich ruhig, seit ich das Zimmer für mich allein hatte.
    In der in Long Beach erscheinenden Zeitung Press-Telegram stand eine Todesanzeige. Darin hieß es, Dad, Mom, Roy und ich wären Bobbys Hinterbliebene. Mit einer Anstecknadel, auf deren Plakette ein Modellflugzeug abgebildet war, pinnte ich den Zeitungsausschnitt an meine Tür; ich fand es toll, daß eine Zeitung unsere Namen gedruckt hatte.
    Am nächsten Tag war der Zeitungsausschnitt weg; ich fand ihn umgedreht auf meinem Schreibtisch liegen. Ich pinnte ihn wieder an, und am nächsten Tag lag er wieder so da. Ich verstand den Hinweis. Mom hatte vielleicht nicht geweint, aber sie wollte auch nicht immer an dem Zeitungsausschnitt vorbeigehen, der meldete, daß Bobby tot war.
     
    *
     
    Schließlich erzählte sie beim Abtrocknen der Teller, die beim Einräumen in den Geschirrschrank leise klirrten: »Bobby hatte Leukämie.«
    Ich merkte mir das Wort sofort.
    »Diese Krankheit ist unheilbar. In den letzten Tagen, Dick, war er trotz allem so ruhig. Er war so weise!«
    Keine Tränen, und statt Dickie hieß ich nun Dick.
    »›Alles hat seine Bestimmung, Mom‹, hat er zu mir gesagt. ›Es ist meine Bestimmung, daß ich jetzt sterben muß… Ich fürchte mich nicht, bitte sei nicht traurig, trauere nicht um mich, ich könnte es nicht ertragen, wenn du weinst.‹«
    Eine Träne lief ihr über die Wange, und das Gespräch war beendet.
    Ich war ein glücklicher Junge gewesen. Wie in Abrahams Schoß, leicht und unbeschwert hatte ich mich gefühlt. Mein Bruder hatte geführt, und ich war ihm gefolgt.
    Aber statt in gleicher Höhe und in sanften Kurven vor mir herzufliegen, hatte Bobby voll Gas gegeben und das Flugzeug steil nach oben gezogen und war danach in der Sonne verschwunden.
    Ich hatte schreckliche Angst. Ich schluchzte

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