Heimkehr
und Zeit?«
»Nein. Das Leben existiert, und zwar immer und ewig.«
Warum sind einfache Dinge so schwer, dachte ich. ›Es existiert‹ bedeutet ›es ist‹. Nicht ›es war‹ oder ›es wird sein‹ oder ›es ist gewesen‹ oder ›es könnte morgen nicht mehr sein‹. Es existiert.
»Kennt das Leben Dickie Bach?«
Langes Schweigen. »Es kennt meinen Körper nicht.«
Siehst du! dachte ich. »Kennt Es deine… Adresse?«
Er lachte. »Nein!«
»Kennt Es deinen… Planeten?«
»Nein.«
»Kennt Es deinen… Namen?«
»Nein.«
»Ratespiel. Kennt das Leben dich?«
»Es kennt… mein Leben«, erwiderte er. »Es kennt meinen Geist.«
»Bist du sicher?«
»Mir ist egal, was du sagst. Das Leben kennt mein Leben.«
»Kann dein Körper zerstört werden?« fragte ich.
»Natürlich ist das möglich, Richard.«
»Kann dein Leben zerstört werden?«
»Niemals!« sagte er erstaunt.
»Na, komm schon, Dickie. Behauptest du, niemand kann dich töten?«
»Es gibt zwei Varianten. Irgendwer kann mein Erscheinungsbild töten. Aber niemand kann mir das Leben nehmen.« Er dachte eine Sekunde lang nach. »Nicht, wenn das Leben existiert.«
»So«, sagte ich.
»So?« fragte er. »Was meinst du?«
»Die Unterrichtsstunde ist zu Ende. Du hast gerade Gott zum Leben erweckt.«
»Einen allmächtigen Gott?«
»Ist denn das Leben allmächtig?« fragte ich zurück.
»In seiner Welt. In der realen Welt existiert das Leben. Nichts zerstört es.«
»Und in der Welt der Erscheinungen?«
»Erscheinungen sind Erscheinungen«, erwiderte er. »Nichts vermag das Leben zu zerstören.«
»Liebt das Leben dich?«
»Das Leben kennt mich, ich bin unzerstörbar. Und ich bin eine nette Person…«
»Was ist, wenn es dich nicht gibt? Wenn das Leben keine Erscheinungen erkennt, wenn dem Leben Raum und Zeit unbekannt sind, wenn das Leben nur das Leben sieht und das Leben keine Bedingungen kennt, kann dann das Leben dich als eine gute oder als eine schlechte Person ansehen?«
»Sieht das Leben mich denn als vollkommen an?«
»Was glaubst du?« fragte ich. »Nennst du das Liebe? Ich bin offen für Vorschläge.«
Er schwieg lange, hatte die Augen zusammengekniffen und hob herausfordernd den Kopf.
»Was hast du?« fragte ich ihn.
Einen Moment lang blickte er mich an, als hielte er eine Sprengladung in der Hand. Es hatte ein ganzes Menschenleben gedauert, um mein schönes Gedankengebäude zu errichten, und es widerstrebte ihm, jetzt alles in die Luft zu sprengen. Doch ich war nicht seine einzige Zukunft, sein eigenes Leben lag vor ihm, und niemand kann Ideen gemäß leben, denen er nicht vertraut.
»Rede«, befahl ich, und mein Herz schlug schneller.
»Versteh mich bitte nicht falsch«, sagte er. »Ich muß zugeben, daß deine Darlegungen, also deine Religion,
eventuell richtig sind.« Er dachte einen Augenblick nach. »Aber…«
»Aber…?«
»Aber was hat das mit meinem Leben als dem Leben eines offensichtlich menschlichen Wesens hier auf der Erde zu tun? Es ist gut und schön, daß du existierst, Richard,« sagte er, »aber was soll’s?«
26
Ich lachte im stillen über mich selbst. Wie viele Tausend Male hatte ich erlebt, daß das, was jemand anders dachte oder tun wollte, für mich plötzlich eine Rolle spielte. Als ob eine Schweißnaht unterhalb der Wasserlinie meines inneren Schiffes aufgegangen wäre, ein unruhiges Gefühl mich erfaßt hätte und mein Boot während der Fahrt tiefer im Wasser läge, so daß es nicht mehr so leicht und schnell und wendig war, wie ich es mir gewünscht hatte.
»Hast du jemals gedacht – was soll’s?« fragte Dickie. »Bestimmt hast du das gedacht!«
Ich bückte mich tief und schleuderte den Stein mit kräftigem Schwung weit über den Abhang hinaus. Mit genügend Schubkraft, dachte ich, kann fast alles fliegen.
»Du hast Shepherd zu mir geschickt«, sagte ich, »weil du erfahren wolltest, was ich weiß.«
»Ich habe Shepherd nicht geschickt…«
Ich hob einen anderen Stein auf und setzte wortlos meine Studien über Aerodynamik von Steinwürfen fort.
»Ja«, sagte er. »Ich mußte herauskriegen, was du weißt. Ich bemühe mich immer noch, das in Erfahrung zu bringen. Es tut mir leid, wenn ich deine Gefühle mit dem ›Was soll’s?‹ verletzt habe.«
Ich beschloß zu schweigen, um ihm nicht weiterhin meine Denkweise aufzunötigen. Wie schwer fällt es den Menschen, einander zu verstehen, wenn sie nicht von vornherein übereinstimmen.
»Hilf mir bei diesem Problem«, bat ich ihn.
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