Heimkehr
abgeblühten Löwenzahns wegpusten oder die Dodekaeder zerschmettern.«
»Verstehe. Wir können Zahlen vernichten.«
»Nein. Wir können die Erscheinungsformen der Zahlen in der Raumzeit zerstören. Wir können Erscheinungsformen sowohl schaffen als auch zerstören.«
Er nickte.
»Aber noch bevor Zeit zu pulsieren begann, Dickie, gab es die Realität der durch Erscheinungen unzerstörbaren Idee der Acht, sie existiert auch in dieser Minute, und es wird sie auch noch geben, wenn Zeit und Raum längst fortgeschwemmt sind. Wenn der Expansion des Kosmos nach dem Urknall plötzlich wieder die Kontraktion des Alls folgt und die ganze Materie zu einem so
winzigen Teilchen zusammengepreßt wird, daß sie nicht mehr vorhanden ist, schwebt die Idee der Acht in ihrer ganzen Vollkommenheit weiter gelassen und völlig ungerührt dahin.«
»Ungerührt?«
»Nun, hier ist eine Axt«, sagte ich. »Zerhacke die Idee der Zahl Acht so, daß sie nicht länger existiert. Mach das, solange du willst. Sag mir, wenn du damit fertig bist.«
Er lachte. »Ich kann keine Ideen zerhacken, Richard!«
»Ich könnte es auch nicht.«
»Also ist mein Körper genauso wenig das wirkliche Ich, wie eine aufgeschriebene Zahl die wirkliche Zahl ist.«
Ich nickte. »Aber ich kapiere das viel langsamer als du. Gedulde dich.«
Er wartete.
»Welche andere Zahl ist so wie die Acht?« Dabei fragte ich mich eine Sekunde lang, ob mir etwas daran lag, daß er an meine Bilder glaubte. Es ist mir egal, ob er an sie glaubt, dachte ich. Es liegt mir etwas daran, daß er es versteht.
»Sieben?«
»Wie viele Achten gibt es in der Arithmetik?«
Er dachte einige Sekunden lang nach. »Eine.«
»Das glaube ich auch. Die Idee jeder beliebigen Zahl ist einmalig. Es gibt davon nur eine Idee. Das ganze Zahlenprinzip basiert auf der lieben Acht, und ohne sie würde es zusammenbrechen.«
»Na, na!«
»Glaubst du das nicht? Nehmen wir an, es ist uns gelungen, die Zahl Acht zu zerstören. Schnell: Wieviel ist vier plus vier? Sechs plus zwei? Zehn minus zwei?«
»Oh«, sagte er.
»Du hast es also begriffen. Eine unendliche Anzahl von Zahlen, jede Zahl unterscheidet sich von allen anderen,
jede ist für das Prinzip genau so wichtig, wie das Prinzip für jede von ihnen wichtig ist.«
»Das Prinzip benötigt jede Zahl!« folgerte er. »Daran habe ich nie gedacht.«
»Künftig wirst du daran denken«, sagte ich. »Das wirkliche, unzerstörbare Leben jenseits von Erscheinungen — doch jede Zahl kann gleichzeitig in jeder der unendlichen Welten des Scheins ausgedrückt werden.«
»Wie ändern wir uns?« fragte er. »Woher rührt der Glaube? Wie kommt es, daß wir alles, was richtig ist, plötzlich vergessen und uns über Nacht in sprachlose Babys verwandeln?«
Ich biß mir auf die Lippen. »Ich weiß nicht.«
»Was? Du hast dir dieses ganze Puzzle ausgedacht, und auf einmal fehlt dir ein Stück?«
»Ich weiß, daß es uns freisteht, immer zu glauben«, erwiderte ich. »Ich weiß, wir tun das aus Spaß am Lernen und um uns daran zu erinnern, wer wir sind. Auf welche Weise vergessen wir, was gewesen ist? Willkommen in der Raumzeit, bitte überprüft an der Tür euer Gedächtnis?« Etwas passiert, aber ich habe nicht herausfinden können, was unser Gedächtnis auslöscht, wenn wir den Sprung tatsächlich wagen.«
Er lächelte angesichts meiner Verwirrung, ein seltsames Lächeln, das ich nicht deuten konnte, und kurz danach nickte er. »Ich kann mich nicht damit zufriedengeben, daß ein Stück fehlt«, sagte er. »Etwas passiert. Wir vergessen. Rede weiter.«
»Nun gut, sobald wir in der Raumzeit sind, steht es uns frei, zu glauben, daß wir allein und ungebunden existieren, es steht uns frei, zu sagen, daß das Zahlenprinzip Unsinn ist.«
Er nickte.
»Das Prinzip beachtet die Raumzeit nicht, weil es eine Raumzeit nicht gibt. Das Prinzip vernimmt also keine flehenden Gebete oder bösen Flüche, es gibt kein Sakrileg und keine Ketzerei, keine Gotteslästerung oder Gottlosigkeit und auch keine Respektlosigkeit oder Gemeinheit. Das Prinzip erbaut keine Tempel, beschäftigt keine Missionare, führt keine Kriege. Es ist blind und völlig ahnungslos, wenn Symbole seiner Zahlen an Kreuze genagelt, durch andere Symbole in Stücke zerhackt und zu Asche verbrannt werden.«
»Es ist ihm schnuppe«, sagte er zögernd.
»Bist du Mom auch schnuppe?« fragte ich.
»Sie liebt mich!«
»Wußte sie davon oder hat es ihr etwas ausgemacht, daß du zehnmal im Laufe einer Stunde
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